Lady Lavinias Liebestraum
sie, nachdem sie den anderen hatte ausrichten lassen, die Probe ohne sie fortzusetzen, die Duchess in ihren Privatgemächern aufzusuchen, in der Hoffnung, Frances wisse etwas über James’ Heiratspläne. Denn schließlich hatte die Stiefmutter ihn darum gebeten, sich endlich eine Frau zu suchen. Sie sah sich nicht länger imstande, die quälende Ungewissheit, von der James sie offensichtlich nicht zu befreien gedachte, zu ertragen.
In der Tat vermochte die Duchess of Loscoe sie in gewisser Weise zu trösten. Sie bestätigte ihr, dass James verliebt sei, wobei sie einen Namen nicht nennen konnte oder wollte. Sie bestärkte ihre Stieftochter aber in dem Vorhaben, um ihn zu kämpfen, denn sie wusste natürlich schon längst, dass das Mädchen sich in James verliebt hatte. Überrascht ob Frances’ guter Beobachtungsgabe und mit neuem Mut ausgerüstet, begab Lavinia sich wieder nach unten und durchquerte die Halle in Richtung Ballsaal, wo noch immer geprobt wurde. Sollte sie James denn wirklich ihr Herz ausschütten, wie es ihr die Duchess geraten hatte? Wenn sie es sich so recht überlegte, hatte sie eigentlich überhaupt nichts zu verlieren – außer vielleicht ihren Stolz.
Am Abend fand sich die ganze Familie zum Dinner in Stanmore House ein. Auch James war anwesend, vor allem um sicherzugehen, dass es Lavinia besser ging, und bei Gelegenheit an ihr Gespräch anzuknüpfen, welches sie am Nachmittag hatten abbrechen müssen.
Bei Tisch sprach man wie so oft über die Frage, ob die Königin sich gegen ihren Gemahl behaupten würde.
“Sie wird die Scheidung kaum verhindern können”, bemerkte die Duchess zu ihrem Gemahl. “Das würde Seine Majestät niemals dulden.”
“Nicht einmal ein König vermag etwas gegen eine entschlossene Frau auszurichten”, erwiderte James mit einem bedeutsamen Blick zu Lavinia. Doch sie schien seine Anspielung nicht vernommen zu haben. Gedankenverloren schob sie ihr Essen von einer Seite des Tellers auf die andere, ohne etwas davon zu sich zu nehmen. Er wünschte sich insgeheim, er könne unter vier Augen mit ihr sprechen und erfahren, worüber sie so nachgrübelte und warum es ihr seit einiger Zeit an Konzentration mangelte. Er konnte nur hoffen, dass ihre Aufführung nicht gänzlich missglückte.
“Man sagt, dass Lord Wincote etwas höchst Brisantes gegen Seine Majestät in der Hand haben soll”, fügte Duncan erregt hinzu. “Ist das wahr, Sir?”
Der Duke of Loscoe seufzte. “Ich kann mir nicht erklären, wie diese Geschichte an die Öffentlichkeit kommen konnte. Von Brisanz kann gar keine Rede sein.”
Lavinia horchte auf. “Papa, du hast auch davon gehört?”, fragte sie verblüfft.
“Wincote wandte sich an Lord Brougham, den Verteidiger der Königin, und ließ ihn wissen, er sei im Besitz eines Schreibens, das vor Jahren sein Großvater Charles Wincote verfasst hat. Brougham aber sah davon ab, es zu verwenden, da es nichts Neues enthält”, erklärte Seine Gnaden ruhig.
“Was steht denn in dem Brief geschrieben?”, fragte Duncan weiter.
“Nichts, das wir nicht bereits wüssten. Wincotes Großvater hatte ein Verhältnis mit Lady Jersey, und zwar bevor der König selbst Anspruch auf die Frau erhob. Der Prince of Wales, der er damals noch war, bot Charles Wincote als Entschädigung und für das Versprechen, sich aufs Land zurückzuziehen, den Titel eines Barons an und schenkte ihm überdies das Gut in Cumberland. Und Wincotes Großvater ging auf den Tauschhandel ein.”
“Ist das alles?”, fragte der Stiefsohn enttäuscht.
Der Duke lachte. “Ja. Meinem Dafürhalten nach hat Lord Wincote mit seinem jugendlich unüberlegten Handeln nun aber auch ausreichend seine Sympathie für die Königin zum Ausdruck gebracht. Und wie wir sehen konnten und noch immer sehen, steht er mit seiner Meinung nicht allein. Wie dem auch sei, es sieht so aus, dass Ihre Majestät tatsächlich den Prozess gewinnt und einer Scheidung entgehen wird. Allerdings wird sie dennoch keine Möglichkeit haben, sich mit ihrem Gemahl krönen zu lassen.”
James lauschte den Ausführungen seines Stiefvaters höchst aufmerksam. Er konnte sich nicht genug darüber wundern, dass der Duke so gleichmütig und wohlwollend über Wincote plauderte. Allerdings musste er zugeben, dass Wincotes politische Gesinnung nichts bedeutete im Vergleich zu den Anschuldigungen, die er sich würde gefallen lassen müssen, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war.
Die Generalprobe stellte sich als eine Katastrophe
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