Lady Lavinias Liebestraum
“Der Unterhalt für das Heim und die Kinder steigt leider stetig.”
Lavinia schätzte die Großherzigkeit ihrer Stiefmutter Frances sehr, liebte sie inzwischen mehr als die eigene verstorbene Mutter, die sich zu ihren Lebzeiten nie um sie gekümmert hatte, außer wenn sie es wieder einmal für notwendig erachtete, Lavinia ob ihres jungenhaft wilden Temperaments zu bestrafen, sie in ihr Zimmer zu sperren und von anderen Kindern und vor allem von ihrem Bruder Duncan, mit dem sie viel durch die Wälder oder über die Felder gestreift war, fernzuhalten. Lavinias Gouvernante Miss Hastings hatte unterdessen versucht, sie angemessen auszubilden und ihr Benehmen beizubringen, was die gute Frau viele Nerven gekostet hatte, denn Lavinia hatte den Unterricht nicht nur einmal geschwänzt.
James empfand für die Duchess of Loscoe ähnlich wie seine Stiefschwester, schließlich war sie ihm, seit der Vater sie als seine Braut heimgeführt hatte, eine mütterliche Freundin gewesen, obgleich sie mit damals siebzehn Jahren nur ein Jahrzehnt älter gewesen war als er.
“Dann war es also Mamas Idee.”
“Nein, meine. Oder besser: Eine Theatertruppe brachte mich auf diesen Gedanken. Anfang des Jahres stellten die Schauspieler ihr Zelt bei uns in Risley auf, und da dachte ich, warum nicht selbst einmal ein Theaterstück geben? Erst wollte ich es in Loscoe Court organisieren, doch dann überlegte ich, wir würden vermutlich auf dem Lande nicht genügend spendable Zuschauer finden. Da ich wusste, dass wir die Saison in London verbringen, habe ich mich kurzerhand entschlossen, das Stück hier aufzuführen. Wir werden den Ballsaal für einen Abend in ein Theater verwandeln.”
“Wer ist ‘wir’?”
“Nun, jeder, der interessiert ist. Du kannst dich gern beteiligen, wenn du möchtest.”
“Wirklich? Wie kommst du darauf, dass ich talentiert genug bin?”
“Wir werden es ja sehen, wenn du vorsprichst, oder nicht? Und wenn du, wie ich befürchte, tatsächlich hoffnungslos unbegabt sein solltest, dann könntest du uns hinter der Bühne zur Hand gehen …”
“Oder die Kulissen schieben”, fügte er trocken hinzu und nickte in Richtung der bemalten Leinwand.
“Wie du wünschst.”
“Vielleicht möchte ich mich gar nicht beteiligen.”
“Sei unbesorgt. Es gibt noch andere, die gewillt sind, mir bei meinem Vorhaben unter die Arme zu greifen.”
“Wer?”
“Duncan, vielleicht auch Benedict Willoughby.”
“Mit nur zwei Hilfskräften wirst du kaum eine Theateraufführung auf die Beine stellen können. Überdies ist Duncan reichlich arbeitsscheu und der junge Willoughby unzuverlässig.”
“Duncan kann sich zusammenreißen, wenn er will. Ich dachte, eine kleine Abwechslung würde ihm guttun.”
“Du meinst, du willst ihn von seinen dummen Gedanken abbringen. Das kannst du nur dann erreichen, wenn du ihn von Willoughby fernhältst.”
“Du tust ihm unrecht”, verteidigte sie den achtzehnjährigen Bruder wie gewöhnlich. Insgeheim wusste sie nur zu gut, dass James die Wahrheit gesprochen hatte. “Als du jung warst, hast du bestimmt auch nicht immer alle Regeln befolgt. Nun, da du alt und gesetzt bist, hast du es vermutlich schlicht vergessen.”
“Alt und gesetzt!”, rief er und lachte schallend. “Muss man sich mit siebenundzwanzig Jahren so fühlen? Und ich dachte, ich befände mich gerade in den besten Mannesjahren.”
Lavinia schmunzelte. “Du weißt, was ich meine.”
“Wirst du denn selbst eine Rolle in dem Theaterstück übernehmen?”
“Ja, zumal Lancelot Greatorex uns Hilfestellung geben wird.”
James warf der Stiefschwester einen erstaunten Blick zu. “Wer ist denn das?”
“Er ist der Direktor der Truppe ‘Thespian Players’, ein hervorragender Schauspieler. Er hat mir versprochen, uns gegen Ende der Saison bei meinem Stück zu helfen, wenn er seine Verpflichtungen erfüllt hat.”
“Daher der groteske Name … Aber du willst mir doch nicht allen Ernstes bedeuten, dass der Duke es gutheißt, wenn du mit Schauspielern zusammenarbeiten möchtest!”
“Was sollte er denn dagegen haben?”, fragte die junge Dame gleichmütig.
“Oh Lavinia, hast du deinen Vater überhaupt um Erlaubnis gebeten, das Stück in seinem Haus aufführen zu dürfen?”
“Noch nicht, aber das werde ich bald tun.”
James lachte. “Dann wünsche ich dir viel Glück dabei, denn du wirst es wahrhaftig gut gebrauchen können!”
“Papa ist viel gutmütiger und mitteilsamer geworden, seit er Frances
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