Lady Sunshine und Mister Moon
Bibliothek noch etwas für unsere Klassenarbeit vorbereiten.“ Nik verließ das Zimmer noch während der Erklärung. Die Türklingel ertönte nun zum zweiten Mal innerhalb einer Viertelstunde, und Nik rannte in den Flur. „Könnt ihr bitte aufmachen? Ich kann mit der Knoblauchfahne unmöglich für Bio lernen.“
Wenigstens würde er endlich einmal einen von Niks neuen Freunden kennenlernen, dachte Wolf, während er zur Tür ging. Doch als er die Tür öffnete, entpuppte sich die Person, die davorstand, nicht als männlicher Teenager, wie er es erwartet hatte. Vor ihm stand ein schlankes hübsches Mädchen mit glänzendem braunen Haar.
Wolf verbarg seine Überraschung und bemühte sich, nicht zu schmunzeln. Biologie. Na klar. Kein Wunder, dass die Zahnhygiene plötzlich so eine Priorität hatte. „Hallo“, sagte er. „Sie müssen Niks Laborpartner sein.“
Das Mädchen nickte. „Ich bin Natalie Fremont.“
„Es freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Wolfgang Jones, Niks Onkel.“ Er trat einen Schritt zurück und bedeutete ihr, ihm zu folgen. „Kommen Sie doch rein. Nik wird in einer Sekunde da sein.“ Weil ihm nichts Besseres einfiel, führte er sie zum Tisch. „Das ist unsere Nachbarin Carly Jacobsen. Carly, das ist Natalie.“
„Niks Laborpartner“, sagte Carly mit einem leichten Lächeln.
„Richtig.“ Er betrachtete das Mädchen, das Carly verstohlen musterte, und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Pappschälchen auf dem Tisch. „Haben Sie schon gegessen, Natalie? Wir haben mehr chinesisches Essen, als wir bewältigen können. Darf ich Ihnen etwas davon anbieten?“
„Oh nein. Danke, Mr. Jones. Ich hatte zu Hause schon Abendbrot.“
Niklaus stürmte ins Wohnzimmer. „Hallo, Natalie. Wie ich sehe, hast du meinen Onkel und Carly schon kennengelernt. Wir sollten jetzt aber besser gehen. Bis später, Onkel Wolf. Ich bin so gegen elf zurück.“ Er begleitete das Mädchen nach draußen und ließ einen Hauch von Aftershave zurück. Wenige Sekunden später schlug die Tür hinter ihnen zu.
Wolf und Carly sahen sich gegenseitig an. Es vergingen zwei schweigsame Sekunden, dann grinsten beide.
„Ich glaube, Nik hat etwas anderes im Kopf als die Klassenarbeit“, lächelte sie.
„Was hat ihn verraten? Seine Eile oder das Aftershave?“
„Wir könnten eine Münze werfen.“ Carly blickte erst auf ihren Teller, dann zu Wolfgang auf. Ihr Lächeln verblasste. „Ich sollte das hier vielleicht besser mit nach drüben nehmen und Ihnen aus den Augen gehen.“
„Nein. Bleiben Sie“, befahl er. „So entspannt haben Sie den ganzen Abend nicht ausgesehen, und ich werde Sie nicht rauswerfen, nur weil mein Neffe vergesslich ist. Essen Sie!“
„Okay. Danke.“ Carly rückte ihren Stuhl zurecht und nahm ihre Gabel wieder zur Hand. „Schöne Kerze“, sagte sie und erwähnte, dass es die Art von Kerze war, die normalerweise auf dem Spülkasten im Badezimmer stand.
„Ja, Nik ist erfinderisch …“
Der Rest ihrer Unterhaltung floss überraschend leicht dahin, und innerhalb kürzester Zeit hatten sie den Inhalt der Pappschachteln deutlich minimiert. Trotz Wolfgangs Protest bestand Carly darauf, die Geschirrspülmaschine einzuräumen, während er das übrig gebliebene Essen im Kühlschrank verstaute. Erst als er sie eine Weile später zur Tür brachte, kehrte die Traurigkeit in ihr Gesicht zurück.
Nicht dass sie nicht versucht hätte, es zu verbergen. „Sagen Sie Nik bitte noch mal vielen Dank für das Essen, ja?“, sagte sie mit einem entschlossenen Lächeln. „Und danke Ihnen. Das hat gutgetan.“
„Hoffentlich“, entgegnete Wolfgang. Er dachte an all die Dinge, die er an diesem Abend über sie erfahren hatte. „Ich finde, dass Sie heute ein sehr großes Opfer gebracht haben. Und Sie waren sehr tapfer.“
Ihre volle Unterlippe zitterte. „Sie mochten Rufus doch gar nicht.“
„Das stimmt nicht. Ich kannte ihn nur nicht. Vielleicht war das mein Fehler.“
Ihr entschlüpfte ein verletzter kleiner Ton. Es war nicht seine Absicht gewesen, sie zum Weinen zu bringen, also beugte er sich hinunter, um ihren kleinen Seufzer mit seinen Lippen zu ersticken. Es war ein Impuls. Ein Impuls, der, wie er eine Sekunde zu spät feststellte, ein großer Fehler war.
Etwa eine Sekunde, nachdem sie ihre Hände in seinem Haar vergraben hatte. Doch dann akzeptierte er sogar, dass er dabei war, einen noch viel größeren Fehler zu machen.
15. KAPITEL
H eiße Hände. Heiße Lippen. Heiße
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