Längst vergangen: Thriller (German Edition)
Absender. Ich erkenne die Handschrift auf Anhieb.
»Alles okay?«
Ich sehe zu Oscar hoch. »Das ist gestern angekommen?«
Er nickt.
»Haben Sie ein Messer?«
Oscar holt ein kleines Schälmesser hinter dem Tresen hervor und gibt es mir. Ich schneide damit das Klebeband vom Paket, dann öffne ich den Karton und sehe hinein. Oben klebt ein gelber Notizzettel. Ich nehme ihn ab und lese ihn.
»Was Wichtiges?«, fragt Oscar.
Ich knülle den Zettel zusammen und lasse ihn in die Tasche gleiten. »Ein Geschenk«, sage ich. »Von einem alten Freund.«
– 51 –
Ich sage Oscar, dass ich doch keine Tomaten will, und verlange stattdessen eine Flasche Whiskey.
Wortlos verkauft er sie mir.
Zu Hause angekommen, lege ich das Päckchen auf die Arbeitsplatte, hole ein Glas aus dem Schrank und genehmige mir einen Drink.
Diane sitzt draußen auf der Veranda mit einem aufgeschlagenen Buch im Schoß. Als sie mich hört, stellt sie sich in den Türrahmen und fragt: »Was hat er gesagt?«
»Ich habe ihn nicht angerufen.«
»Was?« Sie klappt das Buch zu. »Warum nicht?«
»Das wäre nicht in Ordnung gewesen«, sage ich. »Doug steckt hier mit drin, und ich will ihm nicht noch mehr Probleme aufhalsen, als er ohnehin schon hat.«
»Aber ...«
Ich hebe das Glas und trinke.
»Und jetzt trinkst du wieder?«
»Stimmt«, sage ich. »Ich trinke wieder.«
Diane geht an die Hausbar. Als sie das Päckchen sieht, bleibt sie stehen. »Was ist das?«
»Es wurde an den Markt geliefert«, sage ich. »Oscar hat es angenommen und quittiert.«
»Hast du es aufgemacht?«
Ich nicke und trinke weiter.
»Von wem ist es?«
»Gabby.« Diane hält sich eine Hand vor den Mund. Sie legt ihr Buch auf die Bar und geht langsam zur Arbeitsplatte. »Er weiß, dass wir hier sind?«
»Sieht so aus.«
»Was ist das?«
»Mach es auf, sieh selbst.«
Diane zieht den Karton zu sich heran, hebt den Deckel ab und sieht hinein. »Oh mein Gott.«
Ich wende mich ab und schenke mir noch ein Glas ein.
Diane ist still.
»Da war auch ein Zettel.«
»Wo ist er?«
Ich ziehe den zerknüllten gelben Zettel aus der Tasche und lese vor:
»Es tut mir leid, Jake. Gabby.«
»Es tut ihm leid?« Diane nimmt mir den Zettel ab. »Mehr steht da nicht?«
»Mehr nicht.« Sie dreht den Zettel um und prüft die Rückseite, dann lässt sie ihn neben das Päckchen fallen. »Was hältst du davon?«
»Keine Ahnung.«
Diane dreht sich wieder zum Karton um. Sie hebt die Taube heraus, stellt sie auf die Arbeitsplatte und tastet die Oberfläche ab. »Mein Gott, sie ist noch versiegelt.«
Ich schenke mir nach.
»Begreifst du, was das heißt?« Sie sieht mich mit weit geöffneten leuchtenden Augen an. »Er versucht, es wiedergutzumachen. Er weiß, dass er einen Fehler gemacht hat, und er will ihn wiedergutmachen.«
»Das glaube ich nicht.«
»Was könnte es sonst bedeuten?«
Ich sage ihr, dass ich es nicht weiß, und das ist die Wahrheit.
Ich greife zur Flasche, um mir nachzuschenken, aber da spüre ich Dianes Hand auf meiner, die mich aufhält.
»Nicht doch«, sagt sie. »Nicht heute Abend.«
Ich stelle die Flasche ab.
»Begreifst du denn nicht? Wir sind frei.« Sie beugt sich vor und küsst mich. »Es ist vorbei.«
Ich will ihr sagen, dass die Polizei zu Hause das eventuell anders sehen könnte, doch dann bemerke ich ihren Blick, und ich bringe keinen Ton heraus. Sie küsst mich erneut, dann nimmt sie meine Hand und führt mich ins Schlafzimmer. Im Moment zählt alles andere nicht.
– – –
In jener Nacht liege ich neben Diane und starre zum Deckenventilator hoch, der warme Luft durch das Zimmer wirbelt. Ich grübele darüber nach, warum Gabby die Figur geschickt hat.
Ich weiß, dass er für alles, was er tut, einen Grund hat, aber diesmal komme ich einfach nicht drauf.
Am meisten beunruhigt mich der Zettel.
Ich rede mir ein, Diane könnte eventuell recht und Gabby den Vogel als Entschuldigung geschickt haben, aber in all den Jahren, die ich Gabby kenne, hat er nicht einmal gesagt, dass ihm etwas leid tut. Die Vorstellung, dass er jetzt damit anfängt, ergibt gar keinen Sinn.
Es muss einen anderen Grund geben.
Lange bleibe ich wach und gehe jede Möglichkeit durch. Als der Schlaf endlich kommt, deckt er mich zu wie eine Woge – dunkel und traumlos.
– – –
Als ich am nächsten Morgen aufwache, bin ich allein. Ich setze mich auf, schlüpfe in meine Hose und gehe in die Küche. Ich hole eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und trinke sie halb leer,
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