Laennaeus, Olle
Gestrüpp überwuchert.
Ein paar Rehe ducken sich nervös am Waldrand.
Einige Kilometer weiter gabelt sich
die Straße. Konrad nimmt den rechten Abzweig, der sie wieder über die Weideflächen
und den Fluss führt. Die Hitze hat den Wasserlauf fast vollständig ausgetrocknet;
an manchen Stellen fließt er unter Schilf hindurch, sodass nur eine Reihe von Erlen
und Pappeln seinen Verlauf kennzeichnen.
Als der Buchenwald sich etwas lichtet,
hält Konrad schließlich am Wegesrand an.
Sie steigen aus dem Auto. Spähen beide
zugleich nach oben in Richtung der schwarzen Wolkendecke. Ein dumpfes Grollen ertönt,
es klingt wie eine Warnung. Als eine Windbö durch die Baumkronen über ihren Köpfen
fährt, raschelt es in den Blättern. Dann ist es wieder still.
Konrad will sich schon auf den Weg
in den Wald machen, da hält ihn Gertruds Hand auf seiner Schulter zurück. Vor ihnen
auf der Schotterstraße nähert sich in einiger Entfernung ein Hund, der am Wegesrand
schnüffelt und nervös mit dem Schwanz wedelt. Es ist ein räudiger Köter. Ein wohlbekannter
armer Teufel. Der herrenlose Hund vom Friedhof. Sie folgen ihm mit dem Blick. Wonach
sucht er nur? Zehn, zwanzig Meter vor ihnen bleibt er plötzlich stehen, als hätte
er erst jetzt Witterung von ihnen aufgenommen. Gelb leuchtende Augen betrachten
sie; es sieht nahezu aus, als hätte er Mitleid mit ihnen. Dann zuckt er zusammen,
biegt auf einen schmalen Pfad ein und setzt seine hektische Jagd in den Wald hinein
fort.
«Er will, dass wir ihm folgen», flüstert
Gertrud.
«Ich hab ihn schon mal gesehen. Auf
dem Friedhof. Er muss seinem Besitzer vor langer Zeit abgehauen sein.»
Sie gehen in den Wald hinein. Nach
einer Weile führt der Pfad an einen Rastplatz mit einem gezimmerten Windschutz und
einer Feuerstelle. Konrad ergreift Gertruds Hand. Der Hund ist nicht mehr zu sehen.
«Wir müssen hier entlang. Ich weiß,
wo diese Felswand ist.»
Sie bahnen sich einen Weg durch zunehmendes
Walddickicht. Äste und dichtes Unterholz versperren ihnen den Weg, sodass sie ihre
Gesichter mit den Armen schützen müssen. Konrad ist sich nicht ganz sicher, ob die
Richtung stimmt. In der Zwischenzeit hat sich vieles verändert, Bäume sind herangewachsen
und haben mächtige Kronen entwickelt, andere sind abgestorben, umgestürzt oder
verrottet. Aber abgeholzt wurde hier seit langem schon nicht mehr. Und Konrads Erinnerung
an diese Landschaft ist ziemlich deutlich. Anhöhen, Steinhaufen und Senken. Er weiß,
dass sie auf dem richtigen Weg sind. Vom Himmel her hören sie das grelle Schreien
eines Mäusebussards, der noch keinen Schutz vor dem Unwetter gesucht hat. Hin und
wieder erblicken sie einen dahinsegelnden Schatten, dunkelbraun vor einem bleigrauen
Himmel.
A ls Klas den
am Wegesrand geparkten Wagen erblickt, versetzt es ihm innerlich einen Stich. Er
greift sich ans Herz. Bleibt stehen und horcht, hört aber lediglich die Geräusche
des Waldes, der die Luft anzuhalten scheint, und ein lautloses Rascheln in den Baumkronen.
Das ist doch Konrads Opel. Was zum
Teufel ...?
Ohne näher darüber nachzudenken, ändert
er seine Richtung und beginnt, dem Pfad zu folgen. Im Laufschritt, dahinstolpernd
und keuchend. Es gibt keine andere Erklärung. Er muss auf dem Weg dorthin sein.
Zum Grab.
Die Steine. Die umgestürzten Bäume.
Es ist schwer, in der Dunkelheit etwas zu sehen, obwohl es mitten am Tag ist.
Halbwegs durch das Dickicht hindurch
hört er Stimmen. Er bleibt stehen, horcht erneut und bewegt sich dann schleichend
fort. Seine Waffen mit festem Griff umschlossen.
Dann bekommt er sie zu Gesicht. Ein
gutes Stück entfernt zwischen den Baumstämmen. Er geht rasch in Deckung. Unschlüssig.
Die Entschlossenheit, die er vorhin noch gespürt hat, ist wie weggeblasen. Diese
Frau, der er neulich so nahe war, dass er beinahe ihr Leben in seiner Hand hielt.
Sie bringt ihn durcheinander. Hat sie es verdient zu sterben?
Und Konrad. Schließlich war nicht er
es, den er vorhatte zu töten, als er hier herausgefahren ist.
Langsam, wie um sich selbst zu prüfen,
führt er den Kolben der Schrotflinte an die Schulter. Schaut durchs Zielfernrohr
über dem Lauf aus Stahl.
Es ist so leicht, aber letztlich doch
so schwer.
P lötzlich sind
Konrad und Gertrud am Ziel, die Felswand erhebt sich nahezu senkrecht vor ihnen.
Sie ist gut und gerne zwanzig Meter hoch. Oberhalb der Felskante setzt sich der
Wald fort, und an mehreren Stellen wachsen in den Felsspalten kleine windschiefe
Kiefern.
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