Laennaeus, Olle
dort ist?
Auf der Höhe von Röddinge folgt Konrad
einem inneren Impuls und biegt von der Landstraße ab, fährt an der weißgetünchten
Kirche vorbei und lässt den Wagen hinunter durchs Dorf rollen, das sich an den Hang
schmiegt.
Das geheimnisumwitterte Tal. Vermutlich
nutzt er die Gelegenheit, um die Rückkehr hinauszuzögern. Doch Konrad will es wiedersehen.
Auf der kurvenreichen Schotterstraße
kommt ihm ein Traktor und kurz darauf ein dunkelgrüner Jeep entgegen, ansonsten
ist es still. Nur in der Ferne hört man einen Hund bellen. Hinter dem letzten Haus
beginnt der Wald. Hochgewachsene Buchen, deren lichtes Laubwerk mit den Sonnenstrahlen
spielt, knorrige Eichen und dunkle Fichten. Ein paar Birken. Auf einer Lichtung
ist eine Herde goldgelber Kühe zu sehen, die neben einer rostigen Badewanne hinter
dem Stacheldraht grast.
Dann öffnet sich das Tal. Das Abenteuerland.
Konrad kann nicht umhin, am Straßenrand anzuhalten. Er steigt aus dem Opel und atmet
tief ein. Wie oft waren sie hierhergeradelt und ließen sich verzaubern. Um ihn
herum duftet es nach Erde, frühsommerlichem Grün und ein wenig nach Kuhfladen. Durch
die Hügelketten schlängelt sich der Fluss, umsäumt von Schilfrohr und Pappeln, genau
wie er es in Erinnerung hat. Er denkt an die Überschwemmungen im Frühjahr, wenn
sich die Weiden in eine Wasserlandschaft aus Seen und Inseln verwandelten. Das Eis,
das sich im Winter bildete. Konrad blinzelt gegen die Sonne, hinüber zum südlichen
Kamm, und sieht Mäusebussarde über die Baumwipfel hinweggleiten.
Er seufzt leise. Muss unbedingt wieder
herkommen. Doch jetzt kann das andere nicht länger warten.
Ein Stück weiter führt die Schotterstraße
wieder in den Wald hinauf, schließlich über die Felder, und kurz darauf ist er wieder
auf der Landstraße.
Er fährt in Richtung Osten. «Nach Hause».
Konrad probiert das Wort in Gedanken aus, doch es erscheint ihm nicht passend.
Erst nachdem er die Statoil-Tankstelle am Ortseingang passiert und die alte Volkshochschule
erblickt hat, nimmt er den Fuß vom Gas und lässt den Wagen über den letzten Hügelkamm
rollen. Tomelilla beflügelt steht auf dem Willkommensschild der
Gemeinde. Es ist mit der Silhouette eines segelnden Raubvogels verziert. Er muss
lächeln.
An der ersten Ampelkreuzung, an der
inzwischen drei große Einkaufszentren liegen, biegt er nach links über die Eisenbahnbrücke
ab und fährt dann in gemächlichem Tempo am geschlossenen Kino Rio vorbei. Kein
Mensch ist zu sehen. Vor Bertils Würstchenbude hält er an und steigt aus dem Wagen.
Doppelmord in Tomelilla. Die Polizei
bittet um Mithilfe, lautet die Schlagzeile von Ystads
Allehanda.
Hitzewelle hat Skänefest im Griff! verspricht Kvällsposten. Die größeren Zeitungen scheinen das Ereignis bereits
hinter sich gelassen zu haben. Es liegt immerhin schon fünf Tage zurück.
Konrad selbst hat die Nachricht gestern
am späten Abend erhalten. Es kamen zwei Anrufe innerhalb von einer Stunde. Der erste
von einer Kriminalinspektorin aus Ystad, die ihm ohne Umschweife mitteilte, dass
seine Adoptiveltern tot seien und die Polizei gerne mit ihm sprechen würde. Rein
informell. Der zweite von einem Rechtsanwalt, der sich mit ihm über das Erbe unterhalten
wollte. Es gäbe da etwas Geld, sagte er mit gedämpfter Stimme. Über die Summe würde
er ihn noch genauer informieren.
Zuerst war Konrad vor allem erschrocken.
Würde ihn die Vergangenheit nun wieder einholen? Alles, was er glaubte, endgültig
hinter sich gelassen zu haben?
Es ist fast drei Jahrzehnte her, dass
er Herman und Signe gesehen oder zumindest gesprochen hat. Und wenn er ehrlich
sein soll, hat er im Laufe der Jahre auch nicht gerade viele Gedanken an sie verschwendet.
Seit Konrad Tomelilla verlassen hatte, war er ihnen aus dem Weg gegangen. Warum,
weiß er eigentlich selber nicht. Die Verbindung ist ein für alle Mal abgebrochen.
Und der Gedanke daran, sie wiederherzustellen, hat ihm jedes Mal Unbehagen bereitet.
Nicht einmal als er völlig am Boden war, hat er ernsthaft daran gedacht zurückzukommen.
Die Polizistin, die anrief, hat ihn
vorgewarnt: «Die Umstände bezüglich der Morde sind sehr unangenehm.»
Als könnten sie noch toter als tot
sein, dachte Konrad.
«Man hat ihnen ins Genick geschossen.
Allen beiden», sagte die Kriminalinspektorin am Telefon. «Wir glauben, dass es sich
um einen Raubmord handelt.»
Konrad erinnerte sich vage daran, dass
er zu Wochenbeginn in einer Nachrichtensendung im Radio etwas
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