Laessliche Todsuenden
gemeinsames Leben unmöglich war. Ihre Spontaneität wurde ihm unerträglich. Es war der Tag, als sie ihn kichernd mit einer gepackten Reisetasche empfing, auf dem Sprung nach Süditalien, für ein paar Wochen oder so. Natürlich sollte er mitkommen, aber ebenso natürlich hätte sie ihre Abreise nicht um einen einzigen Tag verschoben, etwa ihm zuliebe. Jetzt oder nie, für dieses kindische Dogma hatte Cajou sich noch nie erwärmen können, und da nützte es auch nichts, sich die Klebetentakel vorzustellen, wie sie sich gerade durch seine Haut bohrten. »So schnell bin ich nicht«, sagte er und versteifte sich, »ach, mein Kakanus«, sagte sie, steckte ihm noch einmal die Zunge in den Mund und war weg.
Der Sommer, der Isoldes Abreise folgte, war leer und heiß. Cajou fuhr an den Wochenenden zu seiner Schwester Sophie, deren Mann Schlossherr in der Steiermark war. Die gleichen dicken Mauern und steinernen Fußböden, die gleichen riesigen, unpraktischen Kachelöfen, die Fischteiche und die unendlichen Wälder wie in den Kindersommern bei Onkel Felix. In den Wiesen spielten nun seine Nichten und Neffen.
Sophie war ihm von seinen Geschwistern die Fremdeste gewesen. Als Kind hielt sie sich im Hintergrund und wirkte beinahe scheu, doch wenn sie einmal etwas sagte, war es pointiert und ironisch, beinahe zu spitz für ein Mädchen. Ihr hatte wohl der Raum gefehlt, zwischen den wilden Brüdern und den herrschsüchtigen Schwestern, vermeintlich erziehungsberechtigt die eine, bigott bis zum Erbrechen die andere.
In ihrem selbstgewählten Leben blühte Sophie auf. Sie beherrschte die Kunst, den beträchtlichen Haushalt so zu führen, dass man davon so gut wie nichts bemerkte, nur eben so viel, dass sie dafür zu bewundern war.
Dauernd kamen unangekündigt Gäste, im besten Fall Verwandtschaft, im schlechteren die als »Vönchen« bespöttelten Bewohner umliegender Herrenhäuser, niederer Landadel, der in verkrampfter Herzlichkeit seine Aufwartung machte. Sophie war jederzeit für alles gerüstet, die Abstufungen ihrer Begeisterung ließen sich höchstens an Winzigkeiten erkennen. Wie zufällig war sie am vergangenen Wochenende bereits am Tor gestanden, als ein Cousin ihres Mannes samt Gattin und Kinderschar eintraf, aber gestern, beim Bürgermeister, da musste sie erst aus dem Gemüsegarten geholt werden. Der junge Cajou betrachtete dieses Treiben mit einer Herablassung, die manche seiner ahnungslosen Verwandten als »sozialistisch« bezeichnet hätten, weil sie alles als sozialistisch bezeichneten, was gegen ihre Errungenschaften ging. Nach einer Weile musste aber selbst er zugeben, dass das System bequem war. Das ganze Haus schaute unauffällig auf Sophie. Sie war ein Zeiger, der Kindern wie Dienstboten Signale gab. Normalbetrieb, leicht angehobener Normalbetrieb, Festbetrieb. Die Arbeit der Hausherrin war, Leichtigkeit zu inszenieren. Es durfte eben keine Arbeit sein, es musste wie ein Talent aussehen. Worin wir es zur höchsten Meisterschaft gebracht haben, dachte Cajou. Da wurde schon wieder der lange Holztisch heraus in die Wiese getragen, blau bedruckte Tischdecken vom Bauernmarkt, Weinkaraffen, Brotkörbe, es sah nach nichts aus und war gerade deshalb ein Kunstwerk.
Cajou, sobald er aus dieser freundlichen Ferne an die rülpsenden Maler und Dichter bei Isolde dachte, hielt sich noch für einen Wanderer zwischen den Welten, dabei hatte ihn der Sog schon erfasst. Die erste Überraschung dieses Sommers war sein Schwager Theodor. Er war als Erbprinz eines Fürstenhauses für die große Verantwortung erzogen worden, doch dann hatte der Fürst, sein Onkel, in beinahe skandalös hohem Alter doch noch eine Frau geschwängert, die ihm tatsächlich den nötigen Sohn gesund gebar. Theo trat zurück ins Glied, ohne Bedauern, mit einem Gleichmut, der sich, vermutlich, nicht aus einem einzelnen Leben, sondern aus Jahrhunderten speist, aus dem Geist der glupschäugigen Ahnen in Öl, die aus ihren vergoldeten Rahmen herunter zu nicken scheinen und murmeln: Egal. Alles, was Theo darstellte, war Cajou bislang zum Kotzen gewesen, konservativ, katholisch, im Innersten gar noch kaisertreu, wer weiß. Beim ersten Spaziergang überzog Cajou ihn mit aggressiven Tiraden, weil er etwas Kritisches über den gerade mit dem Staatspreis ausgezeichneten Lyriker Franz Gregor gesagt hatte, aber schon bald waren sie wie Brüder, jedes Mal aufs Neue in ihre Lieblingsthemen verstrickt. Man muss den Feind studieren, beschwichtigte sich Cajou, um sich
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