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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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alles schon viel länger her.
    Über ihren Köpfen hämmert jemand, unsichtbar, aber zweifellos ihr Sohn. Er verbraucht gerade eine Schachtel Zehner-Nägel, die er, wie sich herausstellen wird, aus Jans Scheune entwendet hat. Joshi verschafft sich Nägel, klettert durch die Falltür hinauf, hinein in das glockenförmige Dach, und stößt die Leiter hinunter. Die Himmelsleiter zurück in das Bett seiner Eltern. Vielen Dank, die wird nicht mehr gebraucht. Was mir beim Hochkommen geholfen hat, schmeiß ich euch anschließend vor die Füße. Ohne fremde Hilfe kann ich nicht mehr zurück, aber auf Hilfe verzichte ich gerade nachdrücklich, deshalb nagle ich mich ein, bei lebendigem Leib. Nicht unter, sondern über euch. Ich tanze auf euren Köpfen. Mein Staub und meine Späne, die regnen in euer blütenweißes Bett.
    Und obwohl sie alle beide, Leo und Ilka, neben ihrem Bett stehen und hinaufstarren zu der Falltür, die Joshi von oben systematisch zunagelt, obwohl die Schläge wie das jüngste Gericht über ihre beiden Köpfe donnern, fasst sich nur Ilka plötzlich an die Schläfen, presst die Handflächen dagegen und beginnt erst zu flüstern, dann zu schreien. Flieht, läuft stolpernd hinunter, weinend und völlig außer sich, weil sie für einige qualvolle, unverzeihliche Minuten halluziniert, er habe sie getroffen, er habe ihr eine Haube aus Nägeln verpasst. Und weil das womöglich irgendwie stimmt.

Hochmut

I.
    VON KLEIN AUF WURDE CARL LUDWIG »Cajou« genannt. Zu seinen frühesten Erinnerungen gehörte folgendes Bild: Zu fünft sitzen sie in jenem tiefen Fensterkasten auf halber Höhe der Turmtreppe, im Waldviertler Schloss von Onkel Felix. Sie sind noch klein genug, um hineinzupassen, alle fünf. Und draußen schneit es. Die Welt ist über Nacht versunken, am Bildrand stehen krumme Obstbäume, eine schwarze Zierleiste aus Spinnenfingern. Sie sitzen da in ihren Schlafanzügen, bloßfüßig, behauchen die Scheibe, malen Männchen, der Frieden wird nicht lang gedauert haben. Irgendein kleiner Streit wird ausgebrochen sein, eine Schubserei, wahrscheinlich zwischen Diana und Sophie oder zwischen Anna und Ferdinand, oder die Mutter wird gekommen sein und wegen der nackten Füße gemahnt haben. Vielleicht auch Ivanka, das Kindermädchen. Aber in Cajous Erinnerung war das Bild fast unbewegt, friedlich, still. Wie junge Vögel kauerten sie da im Warmen, er, der Jüngste, zwischen seinen Geschwistern, draußen die dicken Flocken, die leere, weiße Landschaft, und die Welt war noch frei von Spott und dem sauren Zweifel, die später alles durchzogen.
    Schon ein paar Jahre später galten Cajou und Ferdinand praktisch als unerziehbar. Während Anna, Diana und Sophie in unterschiedlichem Ausmaß zu den sozial begabten Betschwestern wurden, auf die ihre Erziehung abzielte, schlugen die beiden Brüder über die Stränge, wo sie nur konnten. Sie lungerten unansprechbar vor den Sportübertragungen, sie machten sich zu Unzeiten mit ihren Fahrrädern davon, um im Dorf Bauerntöchter zu verführen, oder sie hockten im Schilf an den gräflichen Fischteichen, wo sie Joints rauchten. Alles nur, um sich von der Welt ihrer Väter abzusetzen. Die wechselnden Gouvernanten und Erzieher zeterten und straften, die Mutter und die Tanten erklärten sich für unzuständig, ja, sie schienen auf manche Beweise ihres waghalsigen Leichtsinns beinahe stolz, so wie damals, als sie einen Traktor vom Feld stahlen, den Feri dann bis zur zwanzig Kilometer entfernten Disko steuerte und dabei nur einen Hasen überrollte. Der viel zu alte Vater, in vergleichbaren Familien die gefürchtete letzte Instanz, war gerade gestorben, und Schwangerschaft trat glücklicherweise keine ein oder wurde zumindest nicht bekannt. Man konnte sich fragen, ob wenigstens so eine Bauerntochter-Schwangerschaft irgendjemanden schockiert hätte oder ob auch das noch im Rahmen der üblichen Übertretungen geblieben wäre, die man seit Jahrhunderten Aristokratensöhnen wie Feri und Cajou großzügig zugestand, weil erfahrungsgemäß aus den bis zum Rand Ausgeflippten umso verlässlichere Familienväter wurden.
    Als Cajou zwischen Hunderten anderen Gästen im Palais Schwarzenberg stand, um sich langsam zu Feri und seiner weißseidenen Frau vorzuarbeiten, Küsschen rechts, Küsschen links, in Wahrheit nur Wange an Wange gelegt und in die Luft getschilpt, da fühlte er Hochverrat. Keine zwei Jahre zuvor hatten Feri und er auf der Hochzeit irgendeines Thun-Hohenstein beinahe einen Skandal

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