Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
Vom Netzwerk:
ausgelöst, weil Feri sich mit einer Brautjungfer, der sechzehnjährigen Nichte der Braut, in einem Badezimmer einschloss und die Arbeit an ihren Spitzenhöschen auch dann nicht aufgeben wollte, als sie schon um Hilfe schrie. Nach Mitternacht waren sie vollgekokst im Springbrunnen gesessen und hatten einander geschworen, niemals zu werden wie all die anderen hier, die Toninos, Jakis und Bubus ihrer Verwandtschaft, denn man war ja mit allen irgendwie verwandt. Fliehen wollten sie, mindestens bis Südamerika, denn an die London School of Economics oder an die Sorbonne, dahin kamen solche wie sie ja leicht, das gehörte noch quasi zum Vorzimmer. Aber in Südamerika, da gab es einen Abtrünnigen derer von Meyer-Eggenburg, der ihnen schon deshalb wie ein Held erschien, weil er vor zwanzig Jahren eine schwangere Prinzessin hatte sitzen lassen, eingetauscht gegen eine riesige Ranch in der Wildnis und, wie man hörte, einen endlosen Vorrat an ganz unzimperlichen schokoladebraunen Frauen.
    Aber jetzt stand da Feri im Palais Schwarzenberg, eingefangen von einer, über die man in der Jugendzeit ihrer Eltern noch gesagt hätte, sie sei »gar nicht geboren«, nämlich eine Bürgerliche, da stand sein großer, wilder Bruder und ließ sich von den Gratulanten segnen. Cajou beobachtete ihn, die Hände in den Hosentaschen, und flüsterte ihm später, im Rauchsalon, ins Ohr, dass er bereits den schafsartigen Gesichtsausdruck aller Ehemänner angenommen habe. »Du wirst auch noch erwachsen«, erwiderte Feri und sah ihn dabei so zärtlich an, dass Cajou hätte zuschlagen mögen. Cajou machte sich bald nach der Tafel davon, fuhr den langen Weg hinauf nach Sievering in das windschiefe Holzhaus, fand Isolde im Garten die Rosen schneiden, machte Kratzfüße, spielte ihr mit übertriebenen Bewegungen Teile des Hochamts vor, den lispelnden, garantiert schwulen Kardinal und die stolpernden Brautjungfern inklusive, schmetterte mit seiner bei den Sängerknaben ausgebildeten Stimme die Kaiserhymne und zerrte sie dann ins Bett, wo sie vögelten, bis die Sonne unterging.
    Als er Isolde das erste Mal begegnete, waren alle sichtbaren Teile ihrer Haut weiß geschminkt. Da sie nur einen Kartoffelsack trug, in den drei Löcher geschnitten waren, sah man eine Menge Weiß. So stand sie unbeweglich auf zwei Obststeigen in der Kärntnerstraße, die Beine ein wenig gespreizt. Den Zwerg von Rhodos nannte Cajou später diese sogenannte Performance, Teil eines sozialkritischen Straßentheaters, das er nicht recht begriffen hatte. Isolde wiederum interessierte nichts an ihm außer der gemeinsamen Gegenwart, das Bett, der Koks, die Partys, und Cajou fühlte sich wie befreit und beinahe zu allem fähig. Manchmal, wenn er völlig überdreht nicht einschlafen konnte, versuchte er zum Spaß, sich Isolde im Haus seiner Mutter vorzustellen. Die Gesichter der Schwestern und der Verwandtschaft, wie sie sich nun herablassend freundlich geben würden, die Kämpfe, die einem solchen Besuch vorangegangen wären, und seine Vorleistungen, mindestens die Verlobung, wenn überhaupt.
    Sie studierte Bildhauerei an der Akademie. Im überwucherten Sieveringer Garten lagen und standen überall Steinblöcke, auf denen diese winzige Person herumschlug wie verrückt. Und nicht nur das. Sie rauchte, sie trank, sie tanzte im Morgengrauen auf den Tischen, an den Wochenenden fabrizierte sie nach Knoblauch stinkende Eintöpfe, und ihre Freunde sammelten unten in der Stadt ungepflegte Poeten und Konzeptkünstler auf, die sich bei ihr, in ihren rasenden Runden, gierig satt aßen.
    Cajou hielt sich am Rande. Sein Rebellentum, das erkannte er fast erschrocken, reichte gerade so weit wie der Einfluss von Erziehern und Gouvernanten, wie der prüfende Blick seiner gewohnten Gesellschaft. Hierher reichte es nicht. Wenn Isoldes Leute über Beuys und Art Brut diskutierten, wenn sie, den Mund voll Zwiebel und Extrawurst, Jandl deklamierten, dann bildete er sich ein, dass sein Schweigen peinlich und beredt sei, dass es seine lückenhafte und in jedem Fall falsche Bildung geradezu ausstellte. Dabei schwieg er doch meistens.
    Er öffnete den Mund nur, wenn sie ihn, die sie ihm längst den Spitznamen »Kakanus« verpasst hatten, nach Adelsgeschichten fragten. Dann erzählte er boshafte Anekdoten von den Erbkrankheiten und sexuellen Deformationen im Hause Habsburg, vom bigotten Grafen A., der einen Freiherrn für seine Tochter zu gering erachtete und der seine eigene Homophilie, die ja ein Werk des Teufels

Weitere Kostenlose Bücher