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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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hätte, dann wäre er vielleicht nicht mehr losgekommen. Sagte er später immer zu sich, obwohl er es besser wusste.
    Vier Tage später rief Marie-Thérèse an. Sie war in der Stadt, obwohl sie bald zurück nach Paris musste. Er traf sie im Kunsthistorischen Museum. Erst sah er sich artig mit ihr die Bilder an, dann ritt ihn der Übermut und er machte sie auf den unmöglichen Arm bei Rubens’ »Pelzchen« aufmerksam. Wie er erwartet hatte, widersprach sie vehement, immerhin war das von Rubens, und sie fand die Darstellung im Gegenteil meisterhaft realistisch. So ging es weiter, er neckte sie und versuchte an ihrem fugenlosen Weltbild zu rütteln, doch sie nahm es nicht übel, sie lachte, sie war so gerade und unbeirrt. Sie kannten, natürlich, dieselben Menschen, über drei Generationen waren sie sogar irgendwie miteinander verwandt. Als er sie eine Woche später überraschend problemlos ins Bett bekam, was ebenso überraschend zur beiderseitigen Zufriedenheit verlief, und sie ihm anschließend ganz ernsthaft, wie eine gut vorbereitete Schülerin, auseinandersetzte, warum er sich keine Hoffnungen auf sie machen dürfe, da nahm er zum ersten Mal den Kampf auf. Er stand alles durch: das Jahr Probezeit, in dem er sie kaum sah, obwohl er manchmal heimlich mit dem Nachtbus nach Paris fuhr. Die Termine bei ihrem Vater, der ihn wegen seines Lebenswandels, seines Rufes, seines höchstens fragmentarischen Glaubens ablehnte und auf beleidigende Weise abzubringen versuchte. Nicht zu vergessen die wochenlange Ehevorbereitung inklusive Bibellektüre durch Pater Hermann, den Beichtvater der Familie, dessen rigide Moral Cajou jedoch bald faszinierte wie einen Schlangenforscher das Gift.
    Und dann schloss auch Cajou im Stephansdom den heiligen Bund der Ehe, auch Cajou stand im Palais Schwarzenberg und ließ sich von Hunderten Gratulanten küssen und segnen, und im Gegensatz zu Feri hatte er noch eine Hochadelige geheiratet, hinauf statt hinunter. Seine Mutter betrachtete ihren jüngsten Sohn mit Wohlgefallen. Es renkt sich alles wieder ein, das hatte sie von ihren Eltern und Großeltern gelernt, und schon Heraklit hatte gesagt, heirate eine aus deinem Dorf. Für Cajou fühlte es sich nicht ganz falsch an, auch wenn er gewisse Teile des Brimboriums weiterhin verachtete, aber die Verachtung war zu diesem Zeitpunkt nicht heiß, sondern leicht und lässig wie eine kühle Brise.
    II.
    An der Tatsache, dass er Chef wurde, gefiel Cajou am meisten, dass er nun wieder Herr über seine Zeit war. Immer ging ihm alles zu langsam, und Konferenzen mit dem üblichen mäandernden Hin und Her der Meinungen ertrug er kaum. Die meiste Zeit wurde nicht an die Sache, sondern an Richtungskämpfe und therapeutische Bedürfnisse verschwendet.
    Wenn er es nicht mehr aushielt, begann er sich zu kratzen, an Händen und Unterarmen, am Hals und am Kopf. Jahrelang machte ihn keiner darauf aufmerksam, obwohl sie ihn alle dabei beobachteten. Zwischen ihm und den anderen gab es ein dickes, wenig elastisches Luftpolster, wie zwischen abstoßenden Magnetpolen, weil sie wohl dachten, so einer wie er brauche gar nicht zu arbeiten und sähe deshalb auf sie herab. Es gab auch die anderen, die ihn von vorneherein für einen blutleeren, weltfremden Automaten hielten, durch Herkunft und Erziehung heillos versiegelt. Aber diese Einstellung war viel seltener, weil sie Selbstbewusstsein erforderte. Und sie war angenehmer, weil individuell widerlegbar.
    Euler-Wadl, Cajous früherer Chef, war einer mit der selbstbewussten Einstellung. Cajou verstand sich mit ihm von Anfang an gut. Euler-Wadl, der sich gern als »einfacher Bauernbub« bezeichnete, obwohl seine Familie in Kärnten zu den einflussreichen Großgrundbesitzern gehörte, war ein barockes Monster, ein beruflich wie sexuell hochtouriger Mensch. »Holt’s mir mein’ Graf’!«, brüllte er, wenn er von einem seiner konspirativen, alkoholgeschmierten Mittagstermine oder einem Schäferstündchen im Hotel Orient in die Firma zurückkehrte, und Cajou ließ sich dann ein wenig Zeit, ging hinein, ohne anzuklopfen, setzte sich, ohne aufgefordert zu sein, und korrigierte: »Mein en Graf en. «
    Doch als der Name Euler-Wadl im Zuge eines Korruptionsskandals immer öfter in den Zeitungen auftauchte, als es eine erregte Konferenz mit den Rechtsanwälten der Firmeneigentümer gab, in deren Verlauf der Chef schließlich gebeten wurde, den Raum zu verlassen, da erhob auch Cajou keinen Einspruch.
    Als Cajou dann selbst Chef war,

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