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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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wäre, noch gar nicht bemerkt zu haben schien. Er erzählte von den Schwiegereltern seiner Schwester Diana, die mit Blick auf Beuys doch kürzlich ganz im Ernst bemerkt hatten, das könne ihr fünfjähriges Enkelkind Rudolf Maria Anton gewiss genauso gut, haha. Er erzählte flüssig, mit unbewegter Miene, die seine Zuhörer umso mehr lachen machte, doch er schien seinen Erfolg gar nicht richtig zu genießen. Er wollte Isolde, die für ihn ein wildes, ungehöriges Rätsel war, vielleicht auch ein Rettungsanker. Deshalb war er hier, und er schien keine Lösung zu finden, wie man zwischen ihrer Welt und dem, was er trotz allem war, vermitteln konnte.
    Klug und belesen, wie sie war, hatte Isolde doch einen Zug ins Naive. Ihr fehlte diese Gesellschaftsnase, die alle anderen besaßen, Cajous Schwestern und Tanten selbstredend, aber vielleicht umso mehr die Bürgerssöhne, die Arbeiterkinder und die Juden, mit denen er auf der Universität und später in der Firma zusammentraf. Isolde dagegen nahm jeden, wie er war, und entschied dann, ob sie ihn mochte. Sie hätte Cajous Großmutter, eine geborene Prinzessin Solms-Baruth, nicht anders behandelt als die Zenker-Rosi, einen versoffenen Star der alternativen Szene, die in der Stadt unten überall Zettel mit obszönen Gedichten hinklebte und deshalb schon mehrmals mit Geldstrafen belegt worden war, die sie natürlich nicht zahlen konnte.
    Und Isolde unterschied nicht zwischen Hirschhornknöpfen und Maßschuhen einerseits, dem Gebrauch von Knoblauch und Zwiebel andererseits, nicht zwischen offenen oder gequetschten Zwielauten oder der Art, wie einer seine Frühstückssemmel öffnete, mit den Fingern nämlich oder mit dem Messer. Sie erkannte nicht den Unterschied zwischen einem nachlässig getragenen Tweedsakko mit Lederbesatz an den Ellbogen und den geschniegelten Zweireihern des aufstrebenden Bürgertums, und als Cajou einmal das Näseln von Dianas grässlichem Schwiegervater nachahmte, fragte sie im Ernst, ob der Mann Deutscher sei. Ja, es war, als fehle ihr wirklich das Distinktionsorgan, und vielleicht verhielt sich Cajou später nie wieder jemandem gegenüber so ungeschützt.
    Sie stammte aus Siebenbürgen und war unter gebildeten Einwanderern aufgewachsen, fast ohne Kontakt zur eingeborenen Gesellschaft, wie ein Tropfen Öl auf Wasser. Aber das, so glaubte Cajou, war keine hinreichende Erklärung. Es lag zutiefst an ihr, an ihrem Charakter, an einer ganz seltenen, noblen Unempfindlichkeit diesen Dingen gegenüber, von denen Cajou sich bedrängt, ja, durchdrungen fühlte. Dieses Durchdrungensein sah er manchmal vor sich, in fast psychedelischen, ekelerregenden Bildern. Seinen Körper, überzogen mit einem Netz aus klebrigen Fäden, die an vielen Stellen versuchten, in die Haut einzudringen, verschmelzungswütige Tentakel. Diese Vorstellung von sich selbst versuchte er eine Zeit lang damit zu bekämpfen, dass er sich das genaue Gegenteil dessen einredete, was ihm seine Instinkte sagten. Er saß etwa in der »Alten Schmiede«, hörte Franz Gregor, einen von Isoldes Freunden, aus seinen Gedichten lesen und ertappte sich dabei, dass er sie für proletarischen Kitsch hielt. Also verteidigte er Gregor anschließend, wo er ging und stand, als das kommende Genie, den Wiener Bukowski oder sogar Ginsberg, bis er es irgendwann selbst glaubte. Er ahnte, das war zu einfach, aber es war vorläufig das einzige, was er tun konnte. Cajou war damals wirklich noch sehr jung, und seine stark gekrausten Haare, durch keinen Schnitt zu bändigen und deshalb lieber länger gelassen, waren noch aschblond, nicht so hellsilbrig wie später.
    Die wilden Rosen, die herumliegenden Steinbrocken, der brodelnde Eintopf, Isoldes schwarze Locken und ihr irres Gelächter: sein Paradiesvogelleben. So schaute Cajou darauf zurück. Denn Isoldes größte Stärke, ihr egalitäres Talent, kam an einer anderen Stelle als Nachteil heraus. Ihr fehlte jeder Sinn für die Zukunft. Sie lebte für den jeweiligen Menschen, der da war, und für den jeweiligen Tag. Sie träumte zwar von Paris und London, doch war das nur Gerede, sie sparte nicht und sie besorgte keine Studienunterlagen. Cajou aber, der spürte doch, dass er mit seinem Leben irgendwohin zielen wollte, nicht auf Familie oder Karriere, aber doch: auf etwas. Sie dagegen flirrte nur hin und her, interessierte sich mal für das, mal für jenes, häufte zwar Wissen und Erfahrung an, verströmte aber nur Chaos.
    Eines Tages gestand Cajou sich ein, dass ein

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