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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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schlug die Tür, und sie waren weg.
    »Das war Rument«, flüsterte Ilka und zog mich zum Tisch, direkt vor Haybach. Als müsste sie Meldung erstatten, sagte sie atemlos, »es kommen sicher gleich noch mehr«, dann setzte sie sich und schlug die Hände vors Gesicht. Haybach nickte, machte einen Versuch aufzustehen, doch ich zog einen Stuhl heran und reichte ihm, schon im Sitzen, die Hand. »Stefan«, sagte er, »wie schön.« Ich war so überfordert, dass ich nur heftig den Kopf schüttelte. »Ich weiß, der Anlass«, sagte Haybach, als müsste er mich trösten, »aber auch dazu sind solche Anlässe da.«
    Es war mit Haybach deshalb immer angenehm gewesen, weil er auf seine lebhafte Weise nie ganz anwesend war. Diese erschrockenen Schweigemomente, wo zwei Sprecher überlegen, wie sie von einer unerwartet erreichten Schamgrenze am schnellsten wieder fortkommen, gab es mit ihm nie, denn ein bedeutender Teil von ihm war immer schon weiter, beim nächsten Gespräch, beim nächsten Gedanken. Das konnte einen, als man jung war, durchaus stören, denn man wusste nie, was er von seinen Jüngern, abgesehen von ihren Arbeitsschwerpunkten, überhaupt erfasste. Sah er, dass Ilka ein bildhübsches, aber etwas gehemmtes Mädchen mit einer furiosen sozialen Ader war, oder dachte er nur »Molin, Ilka, Emigrantenliteratur, Bachmann und Wiener Gruppe, schön, schön, sollte aber auch ein bisschen mehr 19. Jahrhundert lesen«? Hatte er eine Ahnung davon, wie verkorkst und unglücklich ich in Wahrheit war, als er den »souveränen Stil« meiner Polgar-Arbeit lobte? Hätte er gedacht, dass aus seinem irren Assistenten schon bald ein berühmter Dichter werden würde? Man konnte ihn das nicht fragen. Seine liebenswürdige, schrullige und gehetzte Art schien einen höchst effektiven Schutzwall zu erzeugen. Seine Seele war zum Hineinschauen nicht gebaut. Ich glaube, sie lag sogar außerhalb seiner eigenen Reichweite. Enttäuschung oder Ärger zeigte er nur im Rahmen seiner Funktion und auch da in kleinen Dosen. Vielleicht war er mit seinem Beruf so fest verwachsen, dass ein privater Haybach davon nicht mehr zu isolieren war. Ein Haybach, der seine Frau küsste und seine Kinder kosend auf den Schoß nahm, war unvorstellbar, obwohl wir ihn seine Kinder auf den Schoß hatten nehmen sehen.
    »Stefan, das ist Mia, meine Frau«, sagte er liebenswürdig und ganz leichthin. Ich schüttelte einer Frau die Hand, die vom Phänotyp der ersten Frau Haybach ähnelte, aber stofflich, wenn ich so sagen darf, das Gegenteil war. Sie war viel trockener, mürber, nicht so fleischig. Sie begrüßte mich mit einem fast herausfordernd offenen Blick, und wenn sie nicht direkt freundlich war, so ehrte sie mich durch kritisches Interesse. Sie schien um einiges jünger zu sein als Haybach, aber sie machte nichts daraus. Sie war kaum geschminkt und fast gouvernantenhaft streng angezogen, und ich fragte mich, ob das nur den Umständen dieses Tages geschuldet war oder ob sie sich auch sonst gegen die Freuden und Farben der Welt abschirmte. Von Ilka erfuhr ich später, dass sie eine erfolgreiche Wirtschaftsanwältin war und aus erster Ehe ein blindes Kind hatte. Was man sich gut vorstellen konnte.
    Haybach schenkte mir ein Glas Rotwein ein und hielt mir die Speisekarte hin, die ich fast panisch ablehnte, obwohl ich Hunger hatte. Er zuckte die Schultern, murmelte, dass der Apfelstrudel hervorragend sei, prostete uns vage zu und nahm einen Schluck.
    Dann war es eine Weile still. Beinahe wünschte ich mich an Percass’ Grab zurück, zu den heulenden Country-Girls, denn zum zweiten Mal an diesem Tag kroch mir die Peinlichkeit von ganz unten bis in den Hals herauf, aber ich gebe zu, es half, sich in der einen Lage die andere vorzustellen. Nachdem ich mehrmals getrunken hatte, wagte ich kaum aufzuschauen, denn ich erwartete von mir selbst nichts Geringeres, als die Szene zu retten. Der große Haybach war, wen hätte es erstaunt, tief verwundet, und sonst waren nur Frauen und ein Unbekannter anwesend. Doch die anderen schienen bloß vorauszusetzen, dass ich mich reibungslos in ihre Gespenstergesellschaft eingliederte.
    Haybach, der sein Begrüßungslächeln weiterhin im Gesicht trug, als habe er vergessen, es auszuschalten, starrte vor sich hin und sah wahrscheinlich Bilder, um die er nicht zu beneiden war. Mia Haybach hatte nur Augen für ihn, sie beobachtete ihn in seiner Versunkenheit wie eine Ärztin, aufmerksam, aber unbesorgt. Ilka hielt sich noch immer kindisch

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