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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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Sicherheit wiegen, dabei braucht es nur einen Augenblick Unaufmerksamkeit und schon ist man Akteur in einem perversen Wettkampf, in dem sogar ein Tichy, der harmlose Tichy mit den Krähenfüßen und dem dünnen Haar, den Kollaborateur macht.
    Ich war allerdings abgelenkt. Vor mir stakste, auf lila Stöckelschuhen, Ilka, meine große verflossene Liebe, das heißt, ihre Liebe war vor langer Zeit verflossen, meine nie so ganz. Aber es ist genauso möglich, dass das Gegenteil stimmt. Eventuell hat sie sich damals vor mir in Sicherheit gebracht, und ich habe nicht sie geliebt, sondern die Idee meines Liebeswahnsinns. Kann alles sein, aber böse bin ich immer noch auf sie. Ich wollte keine Trennung, und manchmal möchte ich ihr immer noch mein unzufriedenes Leben in die viel zu hohen Schuhe schieben.
    Ilka stolperte über die Kopfsteine und hielt sich am Arm eines mir unbekannten Mannes fest. Er war sportlich und schlank, also nicht im mindesten ihr Typ, das sah ich mit einem Blick, denn nach mir hat sie es immer mit den Vaterfiguren gehabt, die älter und dicker sind, lustiger, rotgesichtiger und dominanter. So schaute ich nur auf Ilkas Laufmasche, die in der rechten Kniekehle begann und verlockend nach oben lief. Ich weiß noch, dass ich in der Vorstellung schwelgte, sie habe sich vorhin in der Kirche unbewusst gekratzt und dabei mit dem Fingernagel das Loch gerissen. Sie würde es hassen, wenn ich sie darauf aufmerksam machte, ausgerechnet ich, der genau wusste, wie empfindlich sie an diesem Punkt war. Sie strebte immer nach damenhafter Perfektion, dabei liegt ihr Charme seit jeher in ihrer Unfertigkeit, ganz allgemein gesprochen. Ich sah also auf die Laufmasche und auf ihren hübschen Hintern, ich hob nur kurz den Kopf, fast zufällig, da nickte mir Tichy zu, lächelte betrübt und wedelte leicht mit der Hand. Und so schwenkte auch ich folgsam um die Ecke, hinter Ilka, ihrem Sportsfreund und all den anderen her, statt geradeaus auf das Tor des ›Kore‹ zuzugehen. Ich dachte, es gäbe einen Seiteneingang in den Garten. Das dachten wir alle.
    Percass Haybach habe ich nicht gut gekannt. Kennt man einen Menschen, weil man ihn auf seinem Dreirad gesehen hat? Damals, als Heinz Haybachs Kreis das Zentrum meines Lebens war, als Ilka und ich ein Paar wurden, weil wir nach den langen Abenden fast denselben, nämlich den weitesten Heimweg hatten, da waren sie Kinder, Percass und Rument, die eigentlich anders, ziemlich bieder hießen, Max und Moritz, Jakob und Josef oder Peter und Paul, ich weiß es nicht mehr. Heinz Haybach rief sie so seltsam, das passte zu ihm besser als zu ihnen. Denn die beiden wirkten nicht anders als andere kleine Kinder, Percass, der ältere, ein Schlingel, Rument eher ein Angsthase, sie waren ein klassisches Brüderpaar.
    Ungewöhnlich war ihr Vater. Wir, seine Schüler, nannten ihn heimlich den »weisen Hay«, was unerträglich banal war und ihm, schon wegen der im Adjektiv enthaltenen Ehrfurcht, gewiss nicht gefallen hätte. Heinz Haybach war ein begnadeter Gelehrter und damals der aufgehende Stern an der Universität; uns schien er der einzige, bei dem es sich lohnte. Er war die Personifikation des Romankitschs, der Lehrer, der nicht wirbt, sondern um den geworben wird. Dem zuliebe man sich anstrengt wie noch nie, für den man Wissen erwirbt, das man nicht wieder vergisst, obwohl man es nie mehr brauchen wird. Dessen Tasche zu tragen man als Ehre betrachtet hätte, klammheimlich. Als Ilka und ich bei Haybach studierten, trug man natürlich niemandes Tasche, eineinhalb Jahrzehnte nach 1968. Aber wir reservierten stets das Hinterzimmer im ›Blaubichler‹, am Dienstag Abend nach dem Seminar, nachdem es einmal besetzt gewesen war und wir nur einen lauten Tisch im vorderen Gastraum bekommen hatten. Und Ilka, typisch für sie, stellte in einem diskreten Gespräch mit der Wirtin sicher, dass dienstags saure Wurst auf der Karte stand, denn Haybach aß im Wirtshaus am liebsten saure Wurst. Die bekäme er zu Hause nicht, murmelte er einmal nebenbei, das war das Maximum an privaten Einblicken. Er schob sich hektisch saure Wurst und Semmel, die er in den Essig tunkte, in den Mund, während er Franz Gregor lauschte, der eine seiner hochfahrenden Tiraden hielt. Das, was ich verächtlich Franzens »doctrinae« nannte, erfand er aus dem Stegreif, um Haybach zu provozieren. Gregor war einige Jahre älter als wir und arbeitete damals als Haybachs Assistent, was heute ja keiner für möglich hält, der nicht dabei

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