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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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seiner krankheitsbedingten Leichenbittermiene gemurmelt, »Heinz, jetzt hast du gar nichts mehr«. »Das hast du gut gemacht, Bruno, ich danke dir«, habe Haybach ausgerufen, »ich muss mir nichts vorwerfen, ich habe nicht gestritten und mich nicht beschmutzt, ich habe mich freigekauft mit allem, was ich hatte. Mehr kann sie nicht verlangen.«
    Die Tür öffnete sich, und drei Menschen kamen herein, darunter eines der Mädchen mit Gitarre. Ilka sprang auf, etwas zu exaltiert, und ich schloss daraus, dass auch sie sich viel unwohler fühlte, als sie sich anmerken ließ. Mia Haybach half ihrem Mann aufzustehen, Ilkas farbloser Freund erhob sich ebenfalls, trat aber zurück in den Schatten. Bleib sitzen, sagte ich mir, mach das Theater nicht mit.
    Das Gitarrenmädchen eilte auf Haybach zu, nahm seine ausgestreckte Rechte in seine beiden Hände, die Gitarre baumelte dem Mädchen über die Schulter. Es senkte den Kopf, sodass ihm die blonden Haare ins Gesicht fielen, und sprach eindringlich auf Haybach ein. Dabei schüttelte es ihm immer weiter die Hand, so als hielte es sich an ihm fest. Wie um diesen intimen Moment zu schützen, begannen alle anderen künstlich zu lärmen. An mir hing plötzlich jemand von hinten, beide Arme um meinen Hals, und rief: »Stefan, Stefan, ich hab dich vorhin ja gar nicht erkannt!« Ich brauchte eine Weile, bis ich unter den alkoholtypischen Hautveränderungen das Gesicht einer ehemaligen Kommilitonin erkannte, deren Name mir nicht einfallen wollte. Es war auch nicht einfach, als von hinten umarmter Sitzender aufzustehen, aber immerhin das gelang mir, ich herzte und küsste also eine Frau, die zwar nach Schnaps aussah, aber nach Babypuder roch, und rief schrill: »Na so was, na so was!«
    Ilka war sofort an meiner Seite. »Ach Gaabi«, sagte sie und setzte sich auf den ersten Vokal wie auf ein ausladendes Sofa, wohl um mir mein ungeheuerliches Versagen zu verdeutlichen, »wie habt ihr es geschafft, dort wegzukommen?«
    »Sie hat noch eine Rede gehalten, deshalb sind wir so spät«, sagte Gabi, griff nach ihrem Begleiter und schob ihn mir zu: »Das ist der Rupi, mein Dritter. Und bevor du mich fragst: Dem Andi geht es gut, danke der Nachfrage, aber mehr werde ich über dieses Schwein nicht sagen.«
    Rupi, wahrscheinlich Rupert, Typus umgänglicher Weinbauer, war keineswegs so subaltern verängstigt, wie ich das nach dieser Vorstellung für angemessen gehalten hätte. Sein Gartenzwerglächeln deutete darauf hin, dass er das einzig andere mögliche Modell war: eine Natur so robust wie die Innenauskleidung einer Gummizelle. Da konnte Gabi sich geborgen fühlen. Beim Namen Andi erinnerte ich mich schemenhaft an einen langweiligen Schlacks, und plötzlich hatte ich auch wieder das Bild einer jungen, unzerstörten Gabi vor mir, die mit einem Achtmonatsbauch ihre Sponsionsurkunde in Empfang nahm. Sie hatte sich wirklich verändert, mehr, als ich an irgendwem für möglich gehalten hätte. Gabi und Andi, die ersten, die Eltern wurden, hatten sie nicht Lehrer werden wollen? Ich hatte mich allen Matura- und Alumnitreffen immer hochmütig verweigert, anstatt mich ein-, zweimal zu opfern, was mir vielleicht, so abergläubisch wurde ich jetzt, diesen Überfall von hinten erspart hätte. Und als Überfall von hinten empfand ich inzwischen diesen ganzen Tag, gerechnet von dem Moment an, als ich im grellen Sonnenlicht durch das Friedhofstor getreten war und schon von Ferne Ilka erkannt hatte.
    Percass und Rument blieben bei ihrer Mutter, obwohl aufgeklärte Paare nur wenig später begannen, andere Modelle für Scheidungskinder zu erfinden. Haybach war davon ausgegangen, dass sich für die Kinder, abgesehen von seinem Auszug, nichts verändern würde, auch deshalb hatte er seiner Frau widerstandslos die kleine Villa überlassen. Doch die erste Frau Haybach, die so fest in ihre Lebensweise eingepasst schien, begann sich wenige Monate nach der Scheidung heftig zu regen. Sie verkaufte das Haus, nahm Rument und Percass mitten im Jahr aus den Schulen und zog ins südliche Niederösterreich. Haybach, der keinen Führerschein hatte, fuhr anfangs noch mit Bus und Bahn dort hinunter, um die verstörten Kinder zwei Stunden lang in einer Konditorei zu sehen. Doch nachdem er einen Besuch wegen einer internationalen Tagung abgesagt hatte, verweigerte Frau Haybach die Vereinbarung weiterer Termine. Erst fand sie eine Reihe Ausflüchte, dann behauptete sie, die Kinder wollten ihn nicht mehr sehen. Und eines

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