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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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Sommerferientages hob unter ihrer Nummer Tichy ab.
    Eduard Tichy war bei Haybach Assistent gewesen und hatte sich als graue Maus unentbehrlich gemacht. In einem ihrer poetischen Paradoxa hatte Ilka einmal über ihn gesagt, er sei so leidenschaftlich Sklave, dass er im Schiffsbauch allen anderen diktatorisch befehlen würde, sich auszuruhen, denn am schnellsten rudere er ganz allein.
    Im Gegensatz zu Franz Gregor, der eitel nach oben drängte, bevor er alles hinschmiss, eine aparte rumänische Künstlerin mitsamt dem Kind sitzenließ und seinen Siegeszug durch das deutsche Feuilleton antrat, korrigierte Tichy genügsam Arbeiten, schleppte Karten und Diaprojektoren in Haybachs Vorlesungen und nahm ihm den Verwaltungskram ab. Allerdings hätte er nie etwas für ihn unterschrieben, etwa mit dem Zusatz »i.   V.«, wie es die Sekretärinnen selbstverständlich taten. Nein, er legte alles, was er für ihn verfasst hatte, Haybach persönlich zur Unterschrift vor, nur nach der Datumszeile fügte er handschriftlich einen Querstrich und ein »ty« ein. Das war seine Eigenart, der winzige Beweis, dass er die ganze Arbeit gemacht hatte. Wir witzelten damals darüber, dass eines Tages alle universitären Schriftstücke dieses kleine »ty« hinter dem Datum tragen würden, dass er wie Monsieur Hulot in einem riesigen System immerzu mit sich selbst korrespondieren und niemals zu einem Ende kommen würde.
    Seiner eigenen Karriere stand er selbst im Weg. Als wir zu studieren begannen, wurmte er noch in seiner Doktorarbeit herum, die er vermutlich überhaupt nur zu Ende brachte, weil Haybach ihn dazu zwang. Tichy gehörte zu der Sorte Akademiker, bei denen Hoch- und Demut zäh zusammenkleben. Zu den Studenten nett und hilfsbereit in allen Belangen, hatte er für die sogenannten großen Würfe der Koryphäen immer nur Verachtung übrig. Er ließ nichts Neues gelten, weil er die mit den großen Würfen schon dafür hasste, dass sie es überhaupt gewagt hatten.
    Für sich selbst wählte er folgerichtig nur Themen, die, mit einer Wendung Haybachs, »sisyphorisch« waren. Habilitieren wollte er sich über nichts Geringeres als das Bild des Intellektuellen in der Literatur. Als wir nach dem Begräbnis meiner Großmutter rauchend im Bett lagen und uns über die eben stattgefundenen sexuellen Fehlkoordinationen und Missverständnisse hinwegzuplaudern versuchten, waren Tichy-Anekdoten ein willkommener Rettungsanker. Endlich brachte ich Ilka zum Jauchzen – indem ich diese unglückselige Gestalt imitierte. Sie wiederum wusste von einem Symposium, auf dem seine Thesen zum »Zauberberg« in der Luft zerrissen worden seien, dabei sei dieses Referat, wie boshaft behauptet wurde, nur ein kleiner Ausschnitt aus den immensen Vorarbeiten zur geplanten Habil gewesen. »Eigentlich nur eine zum Vortrag erweiterte Fußnote aus dem ersten Absatz der Einleitung, kurz bevor er darlegt, was er überhaupt vorhat«, spottete Ilka. Und dann ergingen wir uns wie Teenager in Mutmaßungen, was die tausendschöne Frau Haybach wohl mit diesem Zausel anstellen mochte.
    Von der Haybach-Scheidung hatten wir natürlich gehört, wenngleich niemand Genaues wusste. Haybach war ins Ausland verschwunden, und Tichy sah man die Schönheit ins Theater begleiten, das war alles. Eine Weile dürften die meisten noch geglaubt haben, dass er weiterhin in Haybachs Auftrag seinen Majordomus-Aufgaben nachkam, denn etwas anderes war eigentlich unvorstellbar. Doch er wohnte dort, im südlichen Niederösterreich, und manchmal führte er nun in den Theaterlogen ihre Fingerspitzen an seinen Mund.
    Von der Jugend seiner Söhne wurde Heinz Haybach fast völlig ausgeschlossen. Ilka, deren Kinder offenbar in einem vergleichbaren Alter waren und die den Gedanken an diese »Mutter-Schweinerei« kaum ertragen konnte, rief noch post festum im ›Kore‹ nach Richter, Anwalt und Jugendamt, doch Haybach erinnerte sie mit überirdischer Nachsicht an König Salomo. Wer verlangt, dass das Kind mit dem Schwert entzweigeschnitten wird … »Der König Salomo hat Ihnen zum Sieg Ihrer Vernunft dann aber gefehlt«, sagte ich sarkastischer, als ich wollte, doch Haybach erwiderte nur, mit wegwerfender Gebärde: »Vernunft zielt eben nicht auf Sieg ab, Stefan. Es ging um die Kinder.«
    »Die Ihnen später gewiss vorgeworfen haben, nicht ausreichend um sie gekämpft zu haben«, gab ich zurück und fing einen warnenden Blick von Ilka auf. Doch Haybach brauchte nicht geschützt zu werden. Da man ohnehin nichts

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