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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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versteckt, und ihr Begleiter nutzte sein offenbar angeborenes Talent, sich unscheinbar zu machen, nach Kräften aus.
    »Fünfzehn Jahre«, sagte Haybach schließlich, »aber es hört nicht auf.«
    »Was ist damals eigentlich passiert?«, fragte Ilka, die plötzlich hinter ihren Händen hervorkam, mit grausamem Mut. Da war er wieder, ihr Fraueninstinkt, dieses Talent, aufs Schwarze zu zielen, während ich krampfhaft nach unverfänglichen Themen suchte. Genauso hatte sie sich damals von mir getrennt, mit einem Pragmatismus, der das Ausmaß ihrer Trauer noch überstieg.
    »Das frage ich mich immer noch«, antwortete Haybach schleppend, als sei ihm schlecht. Erst hatte er geschwiegen und sogar seine Hände lagen still, nun sprach er so langsam, als lausche er jedem Wort hinterher. Diesmal war er nirgendwo anders, war nicht weitergeeilt, seine Gedanken steckten genau hier fest, an der nebligen Stelle des ganzen Dramas. Aber es wurde noch schlimmer, denn mein Vorbild, der weise Hay, dessen ironischer Schild undurchdringlich gewesen war, wurde privat. Er versuchte tatsächlich, Ilka eine Antwort zu geben, indem er in diesem fremden Ton flüsterte: »Sie hasst sich selbst, ich weiß nicht, warum.«
    »Was soll das heißen, sie hasst sich selbst«, fuhr ich dazwischen, eine unstatthafte Frage, die seine Aussage zu bezweifeln schien, doch wollte ich instinktiv ein Geständnis unterbrechen, eine Beichte verhindern, ich wollte, verdammt noch mal, meinen alten Haybach zurück.
    Haybach sah mir ins Gesicht. Nun lächelte er ein bisschen wie früher, wenn man nicht draufkam, worauf er hinauswollte. Zu Mia sah er gar nicht hin. Ihre Beziehung musste auf jenen Hochebenen spielen, die ich immer für die glorreich erwachsenen gehalten und selbst nie erreicht hatte; da brauchte es keine Zurückhaltung, wenn über Exfrauen geredet wurde. Haybach lächelte weiter und zog sich vorsichtig zurück. »Ich spreche von Destruktion, Stefan, bestimmt schwer zu verstehen. Ich bekam irgendwann den Eindruck, sie hielt uns zusammen nicht aus, oder sie ertrug sich nicht vor mir.«
    »Diese wunderschöne Frau«, seufzte Ilka, als habe das irgendetwas miteinander zu tun.
    Haybach nickte. Er hatte sich wieder gefangen. Nur für einen Moment war er aus dem Takt geraten, und nun fuhr er einfach fort, uns zu besänftigen. An sich selbst verschwendete er keinen Gedanken, so fremd und unbekannt war er sich schon immer, da bin ich mir fast sicher. Jedenfalls fand er schnell wieder in seine Rolle als glänzender Animateur hinein, er polterte ein bisschen und fuchtelte mit den Händen, er begann zu geistreicheln und zu charmieren, und ich verabscheute abwechselnd mich und ihn, ihn dafür, dass er, wie ein gealterter Filou, nur mehr das Abziehbild meines Jugendhelden abgab, und mich, weil ich nicht einmal in einem solchen Moment barmherzig war.
    Haybach rief die Kellnerin, ein junges Mädchen, das sich bestimmt wunderte, was hier vorging. Er bestellte eine gemischte Kuchenplatte, »vorläufig nur für die Zahl der anwesenden Personen«, und eine Flasche Sekt. Er ließ die Flasche öffnen, schenkte aber selbst ein, er machte fünf Gläser voll, verteilte sie nun fast überschwänglich, er hob sein Glas und rief: »Auf meinen Sohn Percass! Ich glaube, er war ein glücklicher Mensch.«
    Wir prosteten den Fotos an den Blumenvasen, wir prosteten ihm und einander zu. Sekundenkurz bewunderte ich Ilkas Freund, Bekannten oder Geliebten für seine Miene, der man nicht das geringste vorwerfen, aber auch nichts ansehen konnte, ein Gesicht wie ein leeres Blatt Papier. Vielleicht war es das, was Ilka an ihm gefiel. Bald wurde eine zweite Flasche Sekt gebracht. Haybach unterhielt uns mit Anekdoten aus seinem Scheidungsprozess, die mir vorkamen wie Fallbeispiele aus »Witz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung«, einem der Seminare, das ich vor Jahrzehnten bei ihm besucht hatte. Er hatte einen Jugendfreund als Anwalt genommen, dem er vertraute, obwohl dieser psychisch angeschlagen war, ja, der Anwalt fiel dann monatelang wegen seiner Depressionen praktisch aus. »Wir geben ihr alles«, rief Haybach vergnügt, und er lachte und strahlte wie ein weißhaariges Kind, »ich habe von Anfang gesagt, Bruno, wir geben ihr alles, was sie will.« Und sie wollte alles, so ging die Geschichte, das Haus in Dornbach, das ganze Erbe und alles, was sonst noch da war. Nach dem Urteil sei er mit seinem Anwalt in den ›Jakobinerwirt‹ gegangen, Bruno habe ihn auf ein Krügel eingeladen und mit

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