Lakritze - Thueringen Krimi
ging zu den Papiercontainern. Einer war geöffnet, Fliegen surrten über ihm in der Luft. Feuerbirk schaute über den Rand. Das Mädchen lag zusammengekrümmt auf der Seite und war halb unter Kartons begraben. Ihr Kopf war nach hinten gebogen. Feuerbirk konnte deutliche Strangulierungsmarken erkennen. Die Augen der Kleinen waren geöffnet, der Mund ebenso. Von den Mundwinkeln zogen sich Blutspuren bis zum Hals, auf dem sich eine Fliege niedergelassen hatte. Sie leuchtete wie ein Muttermal auf der hellen Haut. Feuerbirk scheuchte sie weg.
»Die Tote heißt Jenny Galle«, sagte Zagemann, der offenbar Kremmels Befragung abgeschlossen und Feuerbirk gefolgt war. »Ein Angestellter des Supermarktes hat sie gegen zwanzig Uhr entdeckt. Er wartet im Büro des Marktleiters auf dich.«
Zwanzig Uhr, das war vor einer knappen halben Stunde. Der Mord war noch frisch.
Der Angestellte des Supermarktes, Lars Sattelmann, schaute Feuerbirk mit weit aufgerissenen Augen an.
»Jenny hat als Aushilfe gearbeitet. Eigentlich war sie Schülerin, am hiesigen Gymnasium.« Er schluckte und nestelte ein Papiertaschentuch aus der Packung, die vor ihm auf dem Tisch lag. Umständlich putzte er sich die Nase.
»Wie haben Sie sie entdeckt«, fragte Feuerbirk.
»Sie ist wie jeden Nachmittag pünktlich zur Arbeit gekommen. Kurz vor Feierabend wollte sie noch eine Zigarette rauchen und ist nach draußen gegangen. Ich musste noch die Papierkörbe leeren. Mit dem Korb aus dem Eingangsbereich bin ich nach hinten zu den Containern gegangen. Zwei waren schon voll, der dritte hat geklemmt. Ich hatte Mühe, ihn aufzubekommen. Der Deckel ist nach hinten geknallt, und ich habe Jenny erst nicht gesehen. Da waren jede Menge Kartons, die lagen quer durcheinander. Ich habe einen zur Seite geschoben, und da lag sie dann. Wie eine weggeworfene Puppe.«
»Haben Sie jemanden in der Nähe gesehen?«
Sattelmann schüttelte den Kopf. »Kurz vor Ladenschluss ist es hier leer. Draußen war keine Menschenseele. Wenn doch, dann habe ich es nicht mitbekommen. All die Büsche ringsum, da sieht man niemanden.«
Feuerbirk überlegte. Möglicherweise war der Täter noch in der Nähe.
Die Weimarer Polizei kontrollierte alle Personen, die sie im Umkreis von zehn Kilometern antraf. Zwischen Jenny und dem Mörder musste es eine Verbindung geben. Aber welche? Hatte sie der Kerl bis zum Einkaufszentrum verfolgt? Oder hatte er sie gekannt und auf sie gewartet?
Die Müllcontainer standen an der Rückseite des Marktes und waren von Büschen und niedrigen Bäumen verdeckt. Man musste in der Nähe sein, um zu bemerken, dass sich dort jemand aufhielt. Wahrscheinlich hatten sich die Mitarbeiter des Marktes deshalb diesen Platz als Raucherinsel auserkoren. Sie wollten nicht von Kunden gesehen werden.
»Warum ist Jenny allein zum Containerplatz gegangen?«, fragte Feuerbirk.
»Im Moment ist sie die Einzige, die geraucht hat. Zwei weitere Raucher waren im Urlaub, einer war krank, und die anderen rauchen nicht.«
Trotz allem war der Täter ein hohes Risiko eingegangen. Hätte sich das Mädchen gewehrt oder hätte sie geschrien, wären Passanten zweifellos auf sie aufmerksam geworden.
Der Mörder musste schnell und gründlich vorgegangen sein. Danach musste er sich gereinigt haben. Wie den anderen Opfern fehlte auch Jenny die Zungenspitze, doch die Spurensicherung hatte nichts gefunden, womit sich der Täter gesäubert haben konnte. Bei dem vielen Blut, das noch am Tatort zu sehen war, musste auch der Mörder blutverschmiert gewesen sein. Vielleicht hatte er ein Tuch dabeigehabt und es wieder mitgenommen.
Zagemann kam herein und steckte Feuerbirk einen Zettel zu. »Die Adresse der Kleinen. Sie hat noch bei ihren Eltern gewohnt.«
Diesmal hatte der Täter ein Mädchen mit Familie erwischt. Feuerbirk starrte auf das Papier. Sollte dem Serienmörder tatsächlich ein Fehler unterlaufen sein? Die Soko wartete schon seit der zweiten Leiche im Sondershausener Park darauf. Oder war dies womöglich die Tat eines Trittbrettfahrers?
Unbehaglich rollte er die rechte Schulter, die von der Fahrt auf dem Motorrad steif war. »Wissen die Eltern Bescheid?«, fragte er.
»Noch nicht«, antwortete Zagemann. »Wir müssen es ihnen sagen. Am besten, wir bringen es bald hinter uns.«
Noch nie hatte Feuerbirk Hinterbliebene vom Tod eines geliebten Menschen informieren müssen. Es war ein Teil seines Jobs, vor dem er sich ängstigte, und er nahm sich vor, möglichst behutsam vorzugehen. Trotzdem wollte
Weitere Kostenlose Bücher