Lallbacken
Sinnloses in jedes hingehaltene Mikrophon. Immer die gleichen Fragen, immer die gleichen Bilder, ein maßloses und distanzloses Spektakel, unverhohlene Gier nach Emotionen und Abwechslung ohne jeden Erkenntnisgewinn. Auf der Strecke bleibt die der Trauer eigene Stille, der Tod wird herabgewürdigt zur Unterhaltung. Und eingebettet in die Werbung.
Vor allem für ein Produkt mit dem türkischen Namen Joghurt. Joghurt ist allgegenwärtig: Im Shampoo, im Deo und im Katzenfutter – überall ist Joghurt drin, sogar Brillenputztücher haben die reinigende Kraft des Joghurt. Besonders wichtig ist Joghurt für Frauen. Frauen geht es schlecht, vor allem zur Abendbrotzeit. Dann sind Frauen im Fernsehen entweder verstopft oder sie tropfen, denn im Fernsehen leiden alle Frauen unter massiven Verdauungsproblemen, oder sie sind völlig ausgetrocknet und haben schreckliche Falten und Runzeln, sogar an Stellen, wo man es nie vermutet hätte, ich sage nur »Scheidenpilz«. Deswegen essen Frauen wie verrückt Joghurt. Mit Joghurt lassen sich alle Fugen abdichten. Überall hilft Joghurt. Auch in den Küchen, wo omnipräsente Köche ihre Allmacht austoben. Im Fernsehen sind Köche an der Macht.
Manchmal wünscht man sich, dass unvermittelt Arbeiter einer Gerüstbaufirma ins Studio kommen, die Kulissen abbauen, die Luft aus dem Moderator lassen, die Batterien der Experten entsorgen und die anwesenden Politiker zusammenfalten und im nächsten Altpapiercontainer entsorgen.
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Und jetzt das Wetter
Wer selbst denkt, ist unberechenbar. Denken richtet die Welt zugrunde.
Wer denkt, lacht über Politiker, spottet über die Justiz, verhöhnt die Religionen, gründet keine Familie, weigert sich, ein Handy zu benutzen, pfeift auf Bioernährung. Und geht nicht zur Wahl. Wir brauchen ein staatliches Denkverbot.
Zu Beginn des zweiten Jahrtausends haben zwei französische Satiriker zu einem »Nationalen Tag der Humorlosigkeit« aufgerufen. Sie forderten, einen offenen Kampf gegen den Witz zu führen, denn »die heutige Welt ist nicht zum Lachen. Der humoristische Lebensstil führt in eine persönliche und gesellschaftliche Sackgasse und lenkt zudem von den Möglichkeiten der Globalisierung und des Internets ab.«
Das deutsche Volk beschloss daraufhin, alles zu unterlassen, was dem Ernst seiner globalisierten Lage nicht entsprach. Denn das Volk wusste, es wird regiert vom besten Personal, das die Nation aufzubieten in der Lage ist.
In Deutschland denkt und spricht man deutsch. Die deutsche Sprache ist seit Luther die deutscheste Sprache von ganz Deutschland. Deutsche Volksvertreter beherrschen außerdem als meist einzige Fremdsprache ein politisches Behelfsidiom. Das entwickeln sie mit Hilfe ihrer Wortschöpfungskompetenz. Routinierte Volksvertreter können aus dem Stand das »Problem konkretisieren und nach gewissenhafter Prüfung aller Tatbestände in seiner ganzen Tragweite erfassen, ihrer Informationspflicht gegenüber den Menschen in der Region nachkommen und alle erforderlichen Maßnahmen einleiten, um schwierige Entscheidungen in Richtung einer Lösung möglichst rasch voranzutreiben, vor allem zeitnah und nachhaltig.«
Und schon sind dreißig Sekunden in der Tagesschau dichtgelabert.
Und da hatte man sich noch nicht mal »zurückerinnert«, etwas »hinterfragt« oder gar einen Paradigmenwechsel »angedacht«.
Etwas andenken – das ist wie anvögeln und stehen lassen.
Die Funktionäre aus allen anderen Lebensbereichen versuchen, sich in sprachlicher Eleganz mit den Volksvertretern zu messen. So lallte Herr Gerhard Mayer-Vorfelder, ehemals politischer und geistlicher Führer aller deutschen Fußballspieler, nach einem Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft: »Das Schlimmste ist: Wenn der Erwartungshorizont abstürzt, dann fällt er auf den Hinterkopf.«
Aber das war harmlos gegen die surreale Wirrnis, die Joseph Blatter, der FIFA-Fußballfunktionär, angesichts der Stehplatz-Problematik heimsuchte: »Auf Stehplätzen, jeder sitzt, er kann ja mal aufstehen, weil so viele Emotionen drin sind, aber dann sitzen sie sich wieder hin, und dann, dann kann auch ruhig eine ganze Familie in den Fußball kommen, mit Vater und Kinder, und die Mutter, die Mutter kann zu Hause bleiben, wenn sie will, oder auch mitgehen, und der Vater bringt die Kinder gesund wieder zurück, emm, nein, ich meine, es ist eine Frage der Erziehung.« Auch wenn man statt des Gehirns einen Badeschwamm im Kopf hat, kann man immer noch einen Elfmeter gegen die
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