Lallbacken
deutsche Sprache schießen.
Wesentlich interessanter, als Politikern in Talkshows zuzuhören, ist es, ihnen zuzusehen, wie sie zuhören. Zuhören können – das ist die große Kunst am Theater. Reden kann jeder. Aber ob etwas wirklich von Bedeutung ist, das teilt sich darüber mit, wie die Anwesenden zuhören. Zuhören können, so dass man sieht, da nimmt einer auf und verarbeitet: Das entscheidet über die Wichtigkeit des Gesagten.
Der Exaußenminister Fischer zum Beispiel, der Liebling aller, die ihn nicht kannten, hörte nie zu: Während er so tat, als ob er zuhörte, überlegte er angestrengt, wie er seinen eigenen Beitrag öffentlichkeitswirksam ordnen könnte, ohne sich inhaltlich festzulegen.
Der Exministerpräsident von Hessen, Roland Koch, ein Mietmaul des Kapitals, hörte auch nie zu: Er bereitete in mimischem Leerlauf sein nächstes Dutzend Lügen vor.
Exkanzler Gerhard Schröder hatte beim Zuhören nur einen Gesichtsausdruck, und dieser Gesichtsausdruck signalisierte: Ich mach das.
Kanzlerin Merkel spielt zuhören, und zwar mit allen infantilen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen. Sie kommentiert das Gesagte mit kleinen Fratzen. Sie schneidet Gesichter, so als spiele sie ein frommes, aber verlogenes Schaf zwischen Ochs und Esel.
Und Franz Müntefering schließlich, kurzzeitig zum Zuhören verurteilt, der guckte, als wollte er sagen: Was ist denn das für ein Stück? Das haben wir doch überhaupt nicht geprobt!
Laut Umfragen wünschen sich über dreißig Prozent der deutschen Untertanen einen Diktator, aber natürlich einen, mit dem man alles diskutieren kann. Die Leute wollen überall mitreden. Ob es um Bahnhöfe, Hartz IV oder Restlaufzeiten geht, das Volk interessiert sich durchaus für die Dinge, über die zu entscheiden es per Wahl sogenannte Volksvertreter beauftragt hat.
Diese Abgeordneten haben im Idealfall jahrzehntelange Lebenserfahrung, wirken aber cool und jung genug, um ohne Diskussion in jede Disco eingelassen zu werden. Sie sind 24 Stunden am Tag als Parlamentarier im Dienst, aber ein Leben lang unabhängig von der Politik; sie sind beruflich nicht vorbelastet, aber absolute Fachleute; nie verlieren sie den Bezug zur Arbeitswelt, gehen aber keinen Nebentätigkeiten nach; sie kennen die Nöte und Wünsche der Gewerkschaften, der Wirtschaft, der Kirchen, der Sozialverbände, ihrer Parteifreunde, ihres Sportvereins, ihrer Lebensgefährten und Ehefrauen, ihrer Kinder und ihrer Haustiere, sie bleiben aber stets unvoreingenommen; Volksvertreter und Volksvertreterinnen sind frei in ihrem Mandat, aber die Verantwortung für ihr Gewissen können sie leider nicht übernehmen. Am erträglichsten sind Politiker auf Plakaten. Da sind sie leicht wieder zu entfernen.
Normale Wählerinnen und Wähler können die Kompetenz der Politiker nicht beurteilen. Immerhin haben sie als Stimmvieh gewisse ästhetische Kriterien, und die brauchen sie auch, um vom Äußeren eines Politikers auf seinen Charakter zu schließen, denn deren Aussagen lassen ja keine tieferen Schlüsse zu. Es geht ausschließlich um Sympathiewerte, und Politiker-Gesichter und Politiker-Outfit sind das Ergebnis harter Knochenarbeit von Medienberatern und Marketingexperten. Die präparieren einen Politiker genauso wie einen Deoroller. Und die Kanzlerin wie eine von Hand gestopfte Rügenwalder Teewurst. Dieserart gestylte Volksvertreter sind organisiert in Parteien, die behaupten, das Gemeinwohl fördern zu wollen. Die Mitglieder einer Partei arbeiten daran, ihre privaten Glücksbestrebungen als Gemeinwohl durchzusetzen. Die programmatischen Unterschiede der Parteien zwingen zu Kompromissen. Zur Konstruktion von sogenannten Sachzwängen. Zu Zugeständnissen wider besseres Wissen. Für eine Partei zu arbeiten bedeutet immer ein Leben in moralischem Elend.
Besonders bitter ist das für Sozialisten. Eine sozialistische Partei kann im Kapitalismus nicht regierungsfähig sein, denn es ist ihre Aufgabe, gegen die dem Kapitalismus verpflichtete Regierungspolitik zu opponieren, und wenn sie in eine Regierungskoalition eintritt und nun nicht mehr gegen den Kapitalismus opponiert, kann man sie ja wohl kaum noch eine sozialistische Partei nennen. Es lässt sich schwerlich abstreiten: Eine sozialistische Partei äußert sich nur so lange entschieden antikapitalistisch und fordert nur so lange einen Systemwechsel, wie sie keine Chance auf eine Regierungsbeteiligung hat. Hat sie die erreicht, stellt sich heraus: Bei den leitenden Funktionären
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