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Lallbacken

Lallbacken

Titel: Lallbacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Venske
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für solche Aktionen war eine richterliche Anordnung erforderlich.
    Um solch bürokratischen Schnickschnack zu umgehen, erfand man die »Freiheitsbeschränkung«, also eine ins Humanistische gewendete Freiheitsberaubung. Hamburgs Ausländerbehörde erreichte glänzende Abschiebequoten, weil sie voller Hingabe und in unnachgiebiger Pflichterfüllung gern auch Kinder und Jugendliche auswies. Eisenhart brachte ein Sprecher der Ausländerbehörde die Angelegenheit auf den Punkt, als er erklärte: »Eine humanitäre Lösung wäre Rechtsbeugung.« Daraus war zu schließen: Anwendung fand ein inhumanes Rechtssystem.
    Die Ausländerfrage war also in Angriff genommen worden, jetzt musste man nur noch die Nazis entsorgen. Nazis waren allenthalben zu besichtigen – in Brandenburg und Sachsen zum Beispiel, wo es Kommunalpolitiker gab, die mit rechtsextremen Strukturen keine Probleme hatten, dann eine Staatsregierung, die jedes Engagement gegen Neonazis massiv behinderte, dazu braune Schläger, die Menschen terrorisierten, die nicht in ihr primitives Weltbild passten, und schließlich bis zum Äußersten ausgeprägte deutsche Kleinbürger, die ihr faschistisches Weltbild pflegten: Hier waren sie sogar ins Parlament eingezogen.
    Kein Wunder, dass besonders die CSU energisch nach einem NPD-Verbot verlangte: Rewe würde Aldi auch gern verbieten. Es war der reine Futterneid. Aber die NPD zu verbieten und Stoiber und Beckstein, Schönbohm und Schily im Amt lassen zu wollen, das war auch kaum nachzuvollziehen.
    Nun war aber keine andere Organisation so vom Verfassungsschutz unterwandert wie die NPD – nicht unbedingt von eingeschleusten Agenten, sondern von rechten Überzeugungstätern, die aus unterschiedlichen Motiven ein Doppelspiel betrieben. Und der arme Otto Schily war einfach nicht intelligent genug, einen Antrag auf Verbot der Naziparteien so wasserdicht vorzubereiten, dass die Richter ein entsprechendes Urteil fällen konnten.
    Gregor Gysi schwafelte sich zu diesem Thema in eine beachtliche Höhe: »Jeder weitere enttarnte VS-Mann ist Wasser auf die Mühlen einer Beweisführung der neonazistischen NPD, die sich in die Pose des braunen Biedermanns wirft und die wahren Brandstifter bei den Agents Provocateurs des Verfassungsschutzes wähnt … Was die V-Leute anbetrifft, so müssen die Karten auf den Tisch. Dem Bundesverfassungsgericht muss reiner Wein eingeschenkt werden, aus welchen Quellen sich die Begründung des Verbotsantrags speist.«
    Biedermänner – Karten – Wein – speisen: Gysis präzise Analyse hat die Atmosphäre eines Geheimdienstler-Kameradschaftsabends gut getroffen.
    Ins Bild passte, dass das Rostocker Landgericht drei Männer wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung verurteilte. Sie waren 1992 am Brandanschlag auf das Asylantenheim in Rostock-Lichtenhagen beteiligt. Die drei erhielten Bewährungsstrafen zwischen sechs und achtzehn Monaten. Das Bundesverdienstkreuz wurde ihnen vermutlich vorenthalten, weil Asylanten überlebt haben. Zur gleichen Zeit beschloss der Rechtsausschuss des Bundestages die Kürzung der Mittel für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt. Der Aufstand der Anständigen zeigte also seine ganze revolutionäre Power.
    Als Aktivitätsnachweis startete Bundesinnenminister Schily zusammen mit dem Hamburger Innensenator Wrocklage eine Großoffensive für Arbeitslose: Geboten wurden persönliche Beratungen, Hilfe bei der Arbeits- und bei der Wohnungssuche sowie finanzielle Hilfen bei der Existenzgründung. Bedingung: Man musste ein aussteigewilliger Nazi sein. Am besten eine Einfluss- oder Schlüsselperson. Daraus ergaben sich zwei Fragen an die sozialdemokratischen Spitzendenker: Wie, glauben Sie, fühlt sich ein unverschuldet in Not geratener Arbeitsloser, wenn er von diesem großherzigen Angebot an das braune Gesindel hört? Und woher stammen eigentlich die offenbar fundierten Erfahrungen der Politiker hinsichtlich der Käuflichkeit von Gesinnung? Antworten auf diese Fragen gab’s nicht, und Erfolg hatte die Aktion auch nicht.
    Wie so oft brachte Edmund Rüdiger Stoiber die Dinge erst auf den Punkt und dann unter einen Hut: »Das ökonomische Versagen der Regierung Schröder, dieses Ausmaß an Arbeitslosigkeit, bildet den Nährboden für Extremisten. Die Massenarbeitslosigkeit ist Hauptursache für das Wiedererstarken der NPD. Das Land steht vor einer Situation wie seit 1932 nicht mehr.«
    Auf so einen Blödsinn war vor Stoiber noch keiner gekommen. Denn die NPD wurde 1964

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