Lallbacken
elektronischen Reisepässen sollten online von der Polizei abgerufen werden können, die biometrischen Daten, die Internetbewegungen, Telefonate und alle SMS-Nachrichten aller Bundesbürger sollten zentral gespeichert werden. Fingerabdrücke sollten in die Pässe kommen, und wer sich gegen die Speicherung seiner Fußabdrücke im Computer des Finanzamtes sträubte, hatte mit Beugehaft zu rechnen.
Videokameras sollten Tag und Nacht Deutschlands Straßen und Plätze überwachen, Schäuble wollte die elektronische Überwachung an allen Treffpunkten der Kriminalität mit Ausnahme seines Büros bei der Übergabe von Parteispenden an ihn persönlich. Auch Hotelzimmer sollten ohne Ausnahme überwacht werden. Schäuble wollte auf Videobändern gespeichert wissen, wie die Bundeskanzlerin ins Bett geht, er wollte sehen, wie sie einen Zehnerpack Schokoriegel und alle Erdnüsse aus der Minibar verschlingt, er wollte sie rülpsen hören und die donnernden Flatulenzen ihres Begleiters, er wollte dabei sein, wie sie ihren Begleiter anmuffelt, er solle aufhören, sie zu befummeln, und wie sie dann schnarcht und der Mann an ihrer Seite leise weint. Nur deswegen wollte Schäuble aus Deutschland einen elektronischen Spitzelstaat machen.
Folgerichtig kündigte Schäuble an, »gewaltbereite Chaoten präventiv zwei Wochen wegzusperren«, und er betonte, »die Polizeigesetze der Länder sehen den sogenannten Unterbindungsgewahrsam vor« – obwohl er vermutlich durchaus wusste, dass »Chaot« kein Rechtsbegriff und »gewaltbereit« nicht gleichbedeutend mit »gewalttätig« war. Aber das ist ja typisch für Menschen mit obszönen Gewaltphantasien – diese Energie, mit der sie einengende Vorschriften innovativ interpretieren: Im tausendjährigen Reich nannte man die ungerechtfertigte Inhaftierung politisch unliebsamer Zeitgenossen schlicht »Schutzhaft«. Da wussten die anständigen Leute: Das ist in Ordnung, die werden beschützt. Und diese wohlige Geborgenheit allen Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln, die sich während der Zeit der Gestapo besonders gut aufgehoben fühlten, oder auch den Jüngeren, die vielleicht der Stasi hinterhertrauerten, darin sah Lallbacke Schäuble, ein Sicherheitspsychotiker von selten erlebter Gradlinigkeit, die vornehmste Aufgabe des Staates. Er hatte den Wunsch, jeden Einzelnen genau im Auge zu behalten. Nur deshalb sollte die Unschuldsvermutung abgeschafft werden, und deshalb schien ihm die Verwendung von Foltergeständnissen dringend geboten.
Das ganze Ausmaß dieser cerebralen Insuffizienz wurde deutlich rund um den G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm. Dort kam das personifizierte globale Kapital, das die Erde ausplündert, für 120 Millionen Euro Absicherungskosten hinter Gitter. Die handverlesenen Herrschaften wurden sozusagen in Käfighaltung festgesetzt. Die Pressestelle der Polizei korrigierte, wie üblich, die Zahl der Demonstrationsteilnehmer herunter, während die Zahl der verletzten Polizisten, wie ebenfalls üblich, aufgeblasen wurde, indem man jedes Gerstenkorn und jeden Schnupfen mitzählte.
Nicht verstummen wollten die Gerüchte, dass die Polizei Provokateure zum Steineschmeißen abkommandiert hatte. Das war natürlich eine Verleumdung. Dass da Autonome waren, bei denen unter nagelneuem Szene-Outfit olivgrüne Unterwäsche durchschimmerte: Zufall. Dass etliche festgenommene Steinewerfer sich unauffällig hinter der Polizeikette verkrümeln konnten, dass eine Polizeisondereinheit aus Berlin erst in dem Augenblick eingesetzt wurde, als die Demonstration einen allzu friedlichen Verlauf nahm: Unterstellungen. Nur, dass Zivilpolizisten aufgefallen sind, weil sie Mitdemonstranten gesiezt und ihnen Zigaretten angeboten hatten, das war peinlich.
Zehn Tage vor Heiligendamm, bei der Tagung der Außenminister in Hamburg, wurden 4 000 Demonstranten beidseitig von je drei Reihen martialisch ausgestatteten Polizistinnen und Polizisten durch die Straßen geführt, und bei diesem Anblick fielen dem Betrachter die alten Schwarz-Weiß-Fotos ein, die Kolonnen deutscher Gefangener beim Abmarsch nach der Schlacht von Stalingrad zeigten: Die wurden von weniger Bewachern begleitet.
Im Zusammenhang mit geheimen CIA-Flügen und Vernehmungen in US-Militärgefängnissen rechtfertigte Bundesinnenminister Schäuble Verhöre von Gefangenen, bei denen Folterungen nicht ausgeschlossen werden konnten: »Wenn wir sagen würden, Informationen, bei denen wir nicht sicher sein können, dass sie unter vollkommen
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