Lallbacken
Stempeln, Schildern, Visitenkarten ein bisschen was gekostet hatte, musste man dem Seehofer schon zugestehen – so viele Innovationsmöglichkeiten hatte er ja nicht.
In die Amtszeit des Landwirtschaftsministers Seehofer fiel der sogenannte Gammelfleischskandal. Durch das Auftischen von Gammelfleisch bekam das Wort Fleischeslust einen völlig neuen Sinn, und Ekel wurde zum einzig vertrauenswürdigen Maßstab. Das war das unwiderrufliche Ende des deutschen Fleischsalats. Der unvergleichliche Schmierkram aus Mayonnaise, Fett- und Bindegewebe, Zwischenzehenhaut und Schwarte, in dem sich gelegentlich auch ein kleines Heftpflaster von der Fleischerin fleißiger Hand befand, dieser stete Quell von Sodbrennen und saurem Aufstoßen, der deutsche Feinkostklassiker, der immer so aussah, als hätte ihn der Präsident des Bauernverbandes schon mal auf sein Lätzchen gespuckt, war nicht mehr im Angebot.
Ein Durchschnittsdeutscher verzehrt in seinem statistischen Leben 22 Schweine – und kommt bei kostenbewusstem Einkauf immer billiger weg: Schweinefleisch »wie gewachsen« und »meisterlich zugeschnitten« ist oft billiger als Katzenfutter. Aber nicht nur Schweineschnitzel, Gehacktes, Eisbein oder Wurst lassen sich aus dem gemeinen Hausschwein rausholen, sondern auch Knöpfe, Messergriffe und Häkelnadeln. Das Fett wird für Seifen, Desinfektionsmittel und Arzneien verwendet. Das Schwein steckt sogar in Lastwagenreifen. Seine Haare werden in Teppiche, Handschuhe und Stuhlpolster eingearbeitet, und aus den Schulter- und Rückenborsten werden Pinsel. Das deutsche Schwein wird ausgebeutet, dass die Schwarte kracht. Unverkäufliche Reste, irgendwo gelagert und erst mal vergessen, ergeben dann das sogenannte Gammelfleisch, das man vorzüglich schreddern, in Fleisch- und Gelbwürste füllen oder als Burgerrohmasse an Fast-Food-Ketten verkaufen kann.
Aufgedeckt hatte den Skandal ein Kühlwagenfahrer: Der brachte eine Ladung Fleisch, deutlich gekennzeichnet als minderwertig, zu einer Fleisch- und Wurstfabrik in Bayern. Als der Empfänger der Lieferung den Kühlwagenfahrer aufforderte, das Fahrzeug so zu parken, dass niemand sehen konnte, was da ausgeladen wurde, und außerdem die Aufschriften mit der Kennzeichnung »nicht für den Verzehr geeignet« von den Paketen riss und in die Hosentaschen steckte, schöpfte der Fahrer Verdacht und informierte die Polizei. Die fand dann Gammelfleisch in rauhen Mengen, bestimmt vor allem für Berliner Dönerläden. Der Kraftfahrer wurde von Landwirtschaftsminister Seehofer geehrt. Danach wurde er arbeitslos.
Lallbacke Horst Seehofer forderte engagiert eine bessere Überwachung des Fleischhandels – notwendig seien mobile Einsatzkräfte, die unangemeldet in die Betriebe gingen und das Fleisch unter die Lupe nähmen, sagte er, und um Routine und Korruption vorzubeugen, müssten die Kontrolleure dem Rotationsprinzip unterworfen werden. Dabei sei die Dezentralität der Kontrolle richtig, und die müsse nach bundeseinheitlichen Standards erfolgen. Verbraucherschutzorganisationen äußerten erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit solcher Kontrollen, denn es handele sich keineswegs um Einzelfälle, »sondern um einen Teil des Systems«. Man habe es mit einem »flächendeckenden Missbrauch« zu tun: »Das System lädt zum Betrügen ein, es ist relativ leicht, nicht erwischt zu werden, und die Gewinnspannen sind hoch. Das heißt, es wird massenhaft betrogen.« Alles in allem war Lallbacke Seehofers Politik attraktiv wie ein eingelegter Schweinefötus.
Futtermittelskandale sorgten in der Folgezeit nur noch für mäßige Erschütterung. Dass Hühner dioxinverseuchtes Futter fraßen, hatte man immer geahnt. Na und? Da hatte halt irgendein Futtermittelhersteller dem Rapsöl dioxinhaltige Altlasten untergemixt, um die teure Entsorgung zu sparen. War doch verständlich. Die kontaminierten Produkte, Schenkel, Brüste, Flügel, konnte man doch in osteuropäische oder afrikanische Länder ausführen, in denen Dioxin zu den Nationalgerichten zählt, und die Eier konnte man in Gorleben zwischenlagern.
Der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister regte eine Reihe von bemerkenswerten Maßnahmen zur Bekämpfung von Dioxinkriminalität an. Er forderte, die schwarzen Schafe müssten aus dem Verkehr gezogen werden. Anscheinend waren schwarze Schafe die Lieferanten der gefährlichen Dioxininfektion, da mussten wirklich mal einige Schafsköpfe rollen. Lallbacke McAllister sprach sich außerdem für
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