Lallbacken
Boden, wenn Politiker, Bauern und Fleischindustrielobbyisten, also Männer wie der Exlandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke, der das alles in Personalunion war, den Verbrauchern einredeten, es sei wichtig, dass die Verbraucher Vertrauen entwickelten. Das bedeutete, man musste unbedingt das Misstrauen von Essern und Trinkern zerstreuen. Wie machten die Herrschaften das?
Gesundheitsministerin Andrea Fischer, propere Verkörperung deutscher Hausmannskost, erklärte, sie wisse aus der »Praxis der Wurstherstellung«, dass deutsche Verwurster kein Risikomaterial in Darm und Dose ließen – auch wenn das vor dem BSE-Desaster 2001 gar nicht verboten war. Eine Ministerin, die so fest an das Gute in der Wurst glaubte, die füllte zu Hause wohl auch Bartstoppeln in den Pfefferstreuer.
Und Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke arbeitete an der Vertrauensbildung, indem er in einer Sitzung der EU-Agrarminister in Brüssel, also während einer politischen Denkpause (so etwas kann ja unter Umständen ein Leben lang dauern), eine agrar-poetische Sternstunde zelebrierte. Er dichtete:
Es tagt der Rat zum Fleisch vom Rind,
zum Schutz von Mann und Frau und Kind.
Ohn’ Etikett, das kann verdrießen,
darf ich das Fleisch nicht mehr genießen.
Hab ich mir Brust von Ochsen auserkoren,
muss ich wissen, wo mal das Kalb geboren.
Wo’s von der Mutter wurd’ gestillt,
und wo es auf der Weide hat gebrüllt.
Welcher Vater gab den Samen –
aufs Etikett auch seinen Namen.
Ist von edler Rasse auch die Mutter,
und vor allem: Woher kam ihr Futter?
Tja, Gedichte schreiben konnte er auch nicht, der Landwirtschaftsminister Funke. Das fiel aber nicht weiter unangenehm auf, denn von Beginn an wurde das deutsche Landwirtschaftsministerium mit Hinterwäldlern aus der Rustikalfolklore besetzt, in deren Köpfen wirklich alles zum Schlachthof wurde, und die beim Gang zum Rednerpult immer den Eindruck erweckten, sie hätten Gülle in den Gummistiefeln und Teile des selbst angelegten Misthaufens in den Hosentaschen.
Wenig später, im Rahmen der Abwicklung des Rinderwahnsinns BSE, wurden Lallbacke Andrea Fischer und Lallbacke Karl-Heinz Funke zur Notschlachtung freigegeben.
Aber das Vertrauen entwickelte sich auch ohne sie: Als die Menschen SARS bekamen, aßen sie auch wieder Rindfleisch. Seit dem GAU in Tschernobyl simulierte die deutsche Kundschaft immer mal kurzfristig eine Art Ernährungsbewusstsein, aber nach kurzer Zeit kamen dann doch wieder Wild und Pilze, ja sogar türkische Haselnüsse auf den Tisch. Selbstverständlich auch hormonbehandeltes Kalbfleisch, genmanipulierte Pflanzen und Früchte, ferner wahlweise Nikotin- oder Dioxinhühner, Nudeln mit Flüssigei, schwermetallverseuchte Fische und Matjes mit Nematoden. Grundsätzlich wurde in Deutschland alles gegessen, was vier Beine hatte – außer Tischen und Stühlen –, und alles, was fliegen konnte, außer Hubschraubern. Und dass man Rinder mit Hühnerkot fütterte und Schweinen Altöl in den Trog kippte, war die pure Fürsorglichkeit: Die Tiere waren ganz wild drauf. Die mochten ja auch Tiermehl, und ins Tiermehl kamen alle toten Tiere, auch die plattgefahrenen, dann die beim Tierarzt Eingeschläferten und die der pharmazeutischen Forschung zum Opfer gefallenen Laborratten und Affen, also, Tiermehl war schon sehr nährstoffreich.
Menschen nutzbringend zu entsorgen hatte übrigens auch eine gewisse Tradition. So gab es Berichte, dass die Gebeine der Gefallenen von den Schlachtfeldern der napoleonischen Kriege nach England transportiert wurden. Dort habe man sie zusammen mit toten Pferden zu Puder zermahlen und als Mastfutter verkauft.
Es gehörte schon immer zu den landwirtschaftlichen Grundüberzeugungen: Abfälle zu verfüttern war gut fürs Konto, Abfälle zu entsorgen brachte an den Bettelstab. Letztlich landet alles auf den Tellern hungriger Menschen, und der Appetit kommt von ganz allein beim Essen. Zufrieden lässt sich der Schnitzelfresser mit minderwertigem Pressfleisch abfertigen, das nur durch eine industriegefertigte Panade zusammengehalten wird. Hauptsache, es hängt über den Tellerrand. Analogkäse? Na und? Auf Pizza gar nicht so schlecht. Ein tiefgefrorenes Hähnchen für 2,80 Euro ist für die Kinder gerade richtig. Überall ultrahocherhitzter, stabilisierter eingeschweißter Dreck: Plastikbrot und Plastikwurst, Plastikjoghurt mit schlaffen Obstresten, Zucker und Aroma, Kartoffelbrei ohne eine einzige Kartoffel und als Vorspeise Tütensuppe. Und dann
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