Lamarchos
Nein …” Riyda fuhr herum, wollte fliehen, aber die Wächter bekamen sie zu fassen und zerrten sie zurück. Sie drehte und wand sich verzweifelt, versuchte sich loszureißen.
Aleytys schnippte ungeduldig mit Daumen und Zeigefinger. „Du weigerst dich noch immer, die Wahrheit zu sagen.” Sie glitt vom Kutschbock herunter. „Lüge unter meiner Berührung. Wenn du kannst.”
Riyda schrie gellend auf, als Aleytys die Hände nach ihr ausstreckte, schrie wieder, diesmal vor Angst und Schmerz, als sengendes Feuer durch ihren sich windenden Körper fuhr. Der Himmel nahm eine drohende, kupferne Farbe an, die Pastellwirbel von Rosa und Blau und Lavendel und Apfelgrün und Gelb zogen sich auf ein schmales Band über dem Horizont zurück. Ein heißer, trockener Wind erhob sich und fuhr in klagendem Heulen über die Stadt. Die Menge, noch vor wenigen Sekunden feindselig und bedrohlich, löste sich auf in Individuen, die in abergläubischer Furcht erschauerten und vor der furchtbaren Szenerie am Turm zurückwichen. Riyda spürte durch den Nebel der Schmerzen die Veränderung und schluchzte wortlos.
„Du hast den Jungen betäubt”, wiederholte Aleytys unnachgiebig.
Ihre Finger zuckten geschmeidig zu den Schläfen der Frau hinauf; Mitleid regte sich in ihrem Innern, als sie auf das schwitzende Gesicht hinuntersah.
„Ich … ich habe den Jungen betäubt”, flüsterte Riyda.
„Lauter, Frau. Damit es jeder hören kann.”
„Ich habe den Jungen betäubt.”
„Du hast dich selbst mit dem Blut eines Tieres beschmiert.”
„Nein … Ahhh …” Schmerz durchraste sie, Feuer verbrannte sie lebendigen Leibes, fraß sie. „Ja, ja”, kreischte sie. „Ich habe einen Wasservogel getötet und sein Blut auf meine Schenkel geschmiert.”
„Du hast gelogen, als du behauptet hast, Loahn habe dich vergewaltigt.”
„Ich habe gelogen, gelogen, gelogen.”
„Du hast gelogen, als du sagtest, er habe auf den Leichnam seines Vates gespien.”
„Ja, ja.” Ihr Körper bebte unter harten, tiefen Schluchzern. „Ich habe gelogen. Ich habe alles erfunden. Nimm deine Hand weg, Gikena, nimm deine Hand weg, bitte … Bitte … Es tut weh… Ich habe gelogen, ja, ich habe gelogen. Ich haßte ihn. Er war nicht gut.
Wäre er nicht gewesen, hätten meine Söhne das Geburtsrecht innegehabt. Meine Söhne - nicht der ihre. Er hat sie nie vergessen, er hat mich geheiratet, ich war besser für ihn, aber er hat sie nie vergessen. Hexe. Sie hat ihn verhext, seine Seele an die ihre gefesselt.” Ihr Kopf fiel nach vorn, sie hing schlaff in den Armen der Wächter.
Aleytys trat zurück und kletterte wieder auf den Kutschbock hinauf. Ihr Gesicht war eine abweisende Maske. Mit der Linken berührte sie den Sprecher, die Rechte hing frei an ihrer Seite hinun-ter; ihre kalten, blaugrünen Augen richteten sich auf die betroffen und schweigende Menge. „Ihr habt dem Unschuldigen Unrecht getan, Leute von Wahi-Po. Jene unter euch, die Grund hatten, sich über den Jungen zu ärgern, ließen sich von ihrem Vorurteil blenden, und die übrigen sind nicht besser, da sie der Führung ihrer Gefährten blind folgten. Und ihr, ihr Ältesten von Kauna, seid nicht geblieben, um den Jungen anzuhören, sondern habt ihn zu einem langen Tod verurteilt und seid seelenruhig zu eurem Schwelgen zurückgekehrt. Loahn. Komm hierher zu mir.”
Loahn trat ins Freie und stellte sich hinter sie; er starrte zu den gemaßregelten Kauna hinunter.
„Ihr schuldet ihm Wiedergutmachung, ihr Ältesten von Wahi-Po.
Zuerst werdet ihr ihn wieder in sein Geburtsrecht einsetzen, ihm seinen Platz in der Gemeinschaft von Wahi-Po sowie die Besitztümer seines Vaters zurückgeben. Habt ihr gehört?”
Der Erstmann Pukili zog seine Finger um den Stab zusammen, bis die Knöchel seiner Hände als Hochrelief hervorstanden. Zögernd neigte er seinen Kopf, dann richtete er sich auf. „Mele. Laß den Ruf ertönen.”
Die hochgewachsene Frau senkte in knapper Erwiderung ihren Kopf. Sie löste das Seil vom Pflock und zog kräftig daran. Einmalzweimal. Einmal-zweimal. Einmal-zweimal. Die große Glocke erklang in dem dreimal wiederholten Doppelton, der die Leute von Wahi-Po zur Versammlung mit den Kauna herbeirief. Nachdem sie den Federumhang gerichtet hatte, bis er faltenlos über ihren breiten Schultern hing, trat Mele auf ihren Platz hinter dem Erstmann zurück.
„Höret!” Die Stimme des Erstmannes Pukili erhob sich in einem hohen Singsang. Er klopfte mit dem Knauf des Stabes dreimal auf
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