Lamarchos
einer Vitalität, die die Ältesten schwach und alt erscheinen ließ, eine Vitalität, die sogar die robusten, unerschütterlichen Männer auslaugte, die sie jetzt gewaltsam herumdrehten, damit sie Aleytys ansah.
Der Erstmann verneigte sich. „Dies ist Riyda, Frau und Witwe Arahns.”
„Und die Söhne Arahns?”
„Wie du siehst: alle drei.” Er zeigte zu den stämmigen, finster dreinblickenden Jünglingen hin, die hinter den Wächtern standen.
„Olelo.”
Der Sprecher strich seine Pfoten über den weißen Fellstreifen, der über seinen Hals und seinen Bauch verlief. „Er spricht die Wahrheit, Gikena, meine Schwester.”
„Was hat dies alles zu bedeuten?” Aufmerksam musterte Riyda Aleytys. Dann wandte sie sich an die Kauna. „Ich bin eine ehrbare Frau. Eine Witwe, voller Kummer um die Seele ihres Mannes. Was ist mit meinen Rechten, Si’a Pukili? Ihr zerrt mich aus meinem Haus wie eine Hure vom Straßenrand!” Ihre Augen blitzten in rechtschaffener Empörung. Um sie herum murmelten die Leute von Wahi-Po lauter; unfreundliche Blicke trafen die Fremde, die zu ihnen gekommen war, um eine Frau aus ihrer Mitte anzugreifen. „Ihr kennt meinen Vater.
Mein Bruder steht dort trüben. Du, Mele. Du bist die Schwester meiner Mutter.” Sie riß ihre Arme aus den gelockerten Griffen der Wächter los. „Warum habt ihr dies getan?”
Aleytys konnte spüren, wie die Menge auf Riyda reagierte. Der Gestank des Zorns wallte über den Platz und stach in ihre Nase. Sie fröstelte. Es mußte gutgehen. Aber verdammt, diese Frau war eine Kämpferin. Sie griff hinauf und berührte den Sprecher. Als er eine kleine schwarze Hand um ihren Finger schlang, strömten Wärme und Zuversicht in sie zurück. Sie lächelte. „Du fragst nach dem Warum, Frau?”
Riyda fuhr herum und funkelte sie an.
„Du fragst nach dem Warum? Du? Wenn die Strafe der Lakoeheai über Wahi-Po kommt, so bist du, Riyda mit Namen, der Grund.”
„Strafe?” Für einen Augenblick stockte Riydas Zorn, aber sie konnte es sich nicht mehr leisten, Schwäche zuzugeben. Ihr Gesicht wurde weich, nahm einen Ausdruck des Erstaunens an. „Ich? Ich verstehe nicht. Ich habe die richtigen Riten vollführt, ich bin meinem Mann treu gewesen. Kein anderer Mann kann sagen, daß ich mich ihm freiwillig hingegeben habe. Ich habe die Toten geehrt und mich pflichtgemäß daran gehalten, den Lebenden zu dienen. Ich bin eine arme, hilflose, wehrlose Frau, während mein einziger Beschützer seinen Weg nach Ma-e-Uhane geht, um dort auf seine Wiedergeburt zu warten. Was könnte ich getan haben?”
„Ich bin eine Gikena, Frau. Spiele deine Spiele mit denen, die sie nicht durchschauen können. Du hast deinen Mann entehrt. Du hast seinen Erstgeborenen um dessen Geburtsrecht betrogen. Du hast gelogen, Frau.”
Riyda war erschrocken. Wie ein in die Enge getriebenes Tier zog sie ihren Kopf zurück und machte sich bereit zu kämpfen. „Warum tust du mir dies an?” schrie sie. Gleichzeitig wandte sie sich der Menge zu, streckte ihr zitternde Hände entgegen. „Helft mir. Helft mir, meine Freunde, meine Blutsverwandten, mein Volk, Blut meines Blutes. Diese Frau lügt. Wie kann sie eine echte Gikena sein, wenn sie euch so anlügt, über mich Lügen erzählt? Ich bin unschuldig, ich habe nichts getan.”
Ein häßliches Gemurmel fegte durch die Menge. Ohne sich um die ärgerlichen, finsteren Blicke zu kümmern, stand Aleytys unbekümmert aufrecht, die Gefahr schien sie offenbar ungerührt zu lassen.
Innerlich war sie verängstigt. Olelo klopfte ihr auf die Wange, dann sprang er auf das Dach des Wohnwagens.
„Wahi-Po”, rief er; sein zartes Stimmchen hatte plötzlich die Kraft des Donners, der bedrohlich vom vielfarbigen, wolkenlosen Himmel grollte. „Die Gikena, meine Schwester, spricht wahr! Diese Frau lügt, sie versucht, euch gegen eine zu wenden, die von den Lakoe-heai geschickt wurde, welche jetzt durch diesen Kleinen zu euch sprechen. Bevor ihr den Körper über den Verstand triumphieren laßt, bedenkt, was mit Wahi-Aliki passierte.” Wieder grollte Donner. Haarfeine Risse öffneten sich im Mosaikpflaster, die Erde bewegte sich unter den Füßen der Leute, war vorübergehend so unsicher wie Wasser. Das Minarett schwankte und ächzte. Dann hüpfte Olelo vom Wagendach herunter und kauerte sich wieder auf Aleytys’ Schulter.
Hastig schluckte sie; sie richtete einen anklagenden Finger auf Riyda. „Sprich die Wahrheit, Frau! Du hast den Jungen betäubt.”
„Nein …
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