Lamarchos
Aleytys Blut, schlugen wie gewaltig verstärkte Schläge gegen ihren Willen. Ihr Atem wurde schneller und leichter, ein Dunst trieb über ihre Augen, und ihr Mund öffnete sich, um sich dem Gesang anzuschließen, das verführerische, beschwörende Mach mit, mach mit, habe Teil an der Ekstase - eine unter vielen, eine von vielen, eine aus vielen, nie mehr Schmerz empfinden, Einsamkeit, Anspannung, nie mehr Schwierigkeiten…
Komm/komm/komm …
„Nein!” Einen Augenblick lang dachte sie, sie hätte es laut gerufen, aber dann wußte sie, daß das Wort in einem kaum wahrnehmbaren Flüstern über ihre Lippen gequollen war. „Nein”, wiederholte sie leise. „Ich lehne dich ab. Ich bin ich.” Sie starrte auf den bebenden, sich anstrengenden Meister. „Ich werde nicht mitmachen.”
Als der Zwang nachließ, lachte sie, ihre Augen funkelten, weil sie gesiegt hatte. Sie blickte mit Abscheu auf die Menge, angewidert davon, daß es denkende Wesen diesem Ungeheuer auf dem Wagen gestatteten, ihren Willen in einer Art tierischer Ekstase zu verschlingen. Sie lieferten sich ihm aus. Jetzt wußte sie, was ein Meister war, und da sie dies wußte, wurde die letzte Barriere, die sie davor zurückgehalten hatte, ihn zu vernichten, davongespült.
Einer der Jünglinge sprang plötzlich auf die Füße. Ein Kandidat, dachte sie. Hat er seine Prüfung bestanden? Oder ist er durchgefallen?
Der Schamane wandte sich ab und verschwand im Zelt; die Schädel klapperten um seine Beine herum. Mit einem Dolch in der einen Hand und einer elfenbeinweißen Schüssel in der anderen kehrte er zurück. Eine riesige Schüssel, annähernd halbkugelförmig, mit rauhem Rand und seltsamen Wölbungen. Aleytys begriff plötzlich, daß es die abgesägte Schädeldecke eines Meisters war; sie mußte sich zusammenreißen, um sich nicht zu übergeben.
Der Jüngling pendelte von einer Seite zur anderen, sang, blind, verloren, ohne zu begreifen, was geschah. Der Klang, dachte sie.
Ramaikh. Es ist zuviel für ihn. Er kann es nicht ertragen. Ich habe ihn geheilt. Mein Gott, ich habe ihn in den Tod geheilt! Sie preßte die Faust auf den Mund, als der Schamane den Dolch geschickt durch die Kehle zog und den Blutschwall in der ballonartigen Schüssel auffing.
Er reichte die Schüssel jenem Jüngling, der dem Leichnam am nächsten saß. Der überlebende Anwärter trank in großen Schlucken und reichte das dampfende Getränk weiter, wischte sich die rote Färbung von den Lippen; so unschuldig, wie ein Kind seinen Milchbart abwischt. Nachdem die Schüssel geleert war, stellte der Schamane sie zwischen den Füßen des Meisters ab; den Dolch legte er neben die Schüssel. Dann setzte er sein endloses Herumkreisen fort, er wirbelte herum und herum und herum. Wartete darauf, daß der nächste unterlag.
Im Osten trieb der Mond über das Rund der Erde empor und segelte in silberner Stille zwischen den unechten Gewitterwolken dahin.
Der Gesang ging weiter … und weiter… weiter … „Oh … ah … oh …
ah …” Der Gesang und die Trommelschläge … Weiter … Und weiter
.. . Kein Zeichen von Ermüdung bei den Sängern, als stünden sie außerhalb der Bedürfnisse ihres Menschseins, mit anderen Energiequellen verbunden.
Ein weiterer Jüngling sprang auf die Füße.
Aleytys drängte sich an Maissa vorbei, stürzte in den Wohnwagen hinein.
Sharl strampelte gegen die Decken… Rechts … links … rechts
.. . links … Jammerte vor Schmerz und Furcht, sein kindliches Schreien wiederholte den Gesang, der draußen gellte: „Ah … oh …
ah … oh …”
Zorn flackerte in Aleytys auf, eine Wut, die sich zu einer kalten Intensität aufblähte, sie mit genügend Kraft erfüllte, um, wenn es sein mußte, die ganze Horde niedermetzeln zu können. Sie riß Sharl hoch, schmiegte ihn an ihre Brüste. „Nein”, flüsterte sie. „Nein, Baby, er kann dich nicht bekommen.” Sie ließ die Kraft aus sich heraus in seinen kleinen Körper strömen. „Mein Kleiner, mein Traumsänger. Denk an deinen Vater. Denk an ihn mit Leib und Seele, mein Sharl, mein Baby, sei stark und weise und voller Wärme, denke daran. Du hast seine Fähigkeiten, ich weiß es, ich weiß es, mein Baby, mein Baby …” Sie fuhr fort, leise summend zu ihm zu sprechen, schaukelte ihn sanft hin und her. Schlaff schmiegte er sich an sie, wie ein Kätzchen zusammengerollt, warm und schnurrend.
Aleytys ließ sich auf der Pritsche nieder, fröstelte, als die Kälte der Nachtluft sie umhüllte. Sie
Weitere Kostenlose Bücher