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Lamarchos

Lamarchos

Titel: Lamarchos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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kuschelte Sharl in die Beuge ihres rechten Arms, wo er sicher zwischen ihr und der Wand liegen würde, und streckte sich auf der Pritsche aus, zog die Decke über sich.
    Draußen gingen der endlose Gesang und der endlose, unveränderliche Schlag der Trommeln weiter und weiter. Und sie fühlte die Wärme in sich aufkeimen, wurde schläfrig und trieb schließlich in den Schlaf davon …
    9
    Warm. Zufrieden. Sharl lag neben ihr, sein Köpfchen auf ihren Arm gestützt; er strampelte friedlich, winkte mit den Händchen umher und gurgelte und murmelte einen Schwall wortloser Töne, als hielte er der Luft oder den Füßen, die als seine eigenen zu erkennen er zu klein war, Vorträge. Aleytys blieb eine Weile ganz still liegen, um das Gefühl des Wohlbefindens zu genießen, dann stieß sie sich auf einen Ellenbogen hoch und kitzelte Sharl, bis er lauthals kicherte und nach ihr grapschte. Sie plusterte die Decken in der Schublade auf und setzte ihn hinein. „Wir bewegen uns, Baby, Fahren irgendwohin.” Liebevoll streichelte sie seine Wange. „Schlafe, Kleiner. Ich werde meinen Kopf nach draußen stecken und nachsehen, was los ist.”
    Sie gähnte, streckte sich und strich das zerknitterte Batik-Lendentuch glatt. „Maissa.” Keine Antwort. „Wohin fahren wir?”
    Schweigen. Sie rutschte von der Koje und stieß den Kopf durch die Planen. „Leyilli?”
    Maissa saß regungslos wie Stein, als höre sie nichts außer vielleicht dem Tageslicht-Echo des Gesangs der Nacht; die Zügel fest in Händen, das Gespann in stetem, langsamem Gang haltend, der die Hinterseite des Meister-Wagens in angemessener Entfernung von den Nüstern der Pferde hielt. Aleytys stieg auf den schmalen Vorsprung hinter der Lehne des Kutschbocks und blickte über die Horde hinweg.
    Sie waren in den Seengebieten. Nicht auf der Straße. Nein. Sie bewegten sich über die sanft hügeligen Felder, rissen Zäune nieder, sooft sich solche vor ihnen erstreckten. Aleytys schüttelte sich. Die Gesichter, die sie sehen konnte, wirkten wie Masken mit glasigen, leblosen Augen; sie bewegten sich mit der steifen Reglementierung von Automaten. Sie leckte sich die trockenen Lippen, hielt sich am Schnitzwerk am Rahmen des Durchgangs fest und lehnte sich hinaus, schaute nach hinten, um zu sehen, was dort geschah.
    Rechter Hand klaffte eine Lücke in der dunklen Flut von Reitern. Etwa zwanzig Hordenangehörige - Männer, Frauen, Kinder waren mechanisch damit beschäftigt, die Pihayo-Herde zu schlachten. Während sie zusah, tat sich eine Lücke zwischen den herumstehenden Gestalten auf, und sie sah, wie ein Junge mit steinernem Gesicht die Kehle eines zottigen Tieres aufschlitzte und den Mund in den warmen Strom herausspritzenden Blutes stieß.
    Hinter ihm stach ein Mädchen - nicht älter als vier Jahre - mehrfach in die Kehle eines Kalbes. Aleytys riß ihre Blicke davon los, nur um schwarze Rauchfahnen schräg in die Morgenbrise emporquellen zu sehen. Sie wollte nicht noch mehr sehen und schloß die Augen. Unsicher schwang sie sich über die Lehne und setzte sich neben Maissa.
    In unheimlicher Stille schwangen die Anführer der Horde Äxte und Keulen, um Zäune und Hecken einzuebnen. Weit voraus sah sie, über von Bäumen unterbrochenen Linien des Horizonts, einen zarten, scharlachroten Streifen. Loahn, Loahn, dachte sie. Ich hoffe, du hast sie gewarnt. Dann hörte sie durch das Rumpeln/ Knirschen/Quiet-schen der Wagen die melodische, metallische Stimme der Glocke, die den Gefahrenklang hinausrief, dreifache Dreierschläge, unaufhörlich wiederholt.
    Ein kleiner Reiterhaufen kam vorbeigaloppiert; eine Wolke von Geschossen wogte heran. Die Horde ignorierte sie, ignorierte die Körper ihrer eigenen Sterbenden und Toten. Und die Verwundeten rollten so stumm von ihren Reittieren wie die Toten, rollten so stumm unter die gleichgültigen Hufe der Horde wie die Toten. Maissa fuhr unerschütterlich über die zertrampelten Überreste von Männern. Und nicht nur Männern. Das rechter Hand trabende Pferd scheute plötzlich, Aleytys starrte in das unversehrte Gesicht eines Kindes hinunter, eines Mädchens, dessen Haar über den Boden floß, abgerissene, blutige Fleischfetzen, gummiartige Röhren dort, wo ihr Hals hätte sein müssen. Es war nichts in ihrem Magen, das sie hätte erbrechen können, aber Aleytys hing zur Seite hinüber, über den Kutschsitz hinaus, wurde von trockenem Würgen geschüttelt, die Magensäure brannte in ihrer Kehle. Sie wischte sich immer wieder mit

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