Land aus Glas
anderen weniger, jetzt, wo nur noch ein paar Meter fehlen, dann werden sie unweigerlich beieinander sein, die beiden Klangwolken – die Konfusion in jedermanns Kopf – übergeschnappte Herzen, tausend heimliche Rhythmen, die sich mit diesen beiden überdeutlichen, die sich gleich treffen werden, vermischen/leb wohl, Pehnt, leb wohl, mein Freund, der du nicht länger hiersein wirst, nochmals leb wohl, das alles ist für dich/Juns Hand gleitet durch Knöpfe und Schamgefühle, begehrlich und sanft/Willkommen, Monsieur Horeau/fünf Meter, nicht mehr – eine Qual, eine Tortur – mögen sie sich doch endlich treffen, Gott verflucht – möge doch alles explodieren wie ein Schrei/aber Hector Horeau antwortet nicht, er stellt seine Tasche auf den Boden, schaut auf, schweigt einen Moment, dann erstrahlt sein Gesicht in einem Lächeln, einem Lächeln/JETZT – jetzt – genau jetzt – wie hätte man sich all das vorstellen können? – eine Million Töne, die außer Rand und Band in eine einzige Melodie stürzen – sie sind da, einer im anderen – es gibt weder Anfang noch Ende – ein Orchester, das das andere verschlingt – die Rührung im Entsetzen im Frieden in der Sehnsucht in der Raserei in der Erschöpfung im Verlangen im Ende – Hilfe – wo ist die Zeit geblieben? – wo ist die Welt hin? – was kann denn noch kommen, wo doch alles jetzt hier ist – JETZT – JETZT/und endlich schaut Pekisch auf, und unter all den Blicken, die er vor sich hat, trifft er sogleich auf den von Pehnt, durch die Explosion der Klänge, die sich zwischen ihnen staut, hindurch, und kein Wort ist mehr nötig nach so einem Blick, keine Geste und auch sonst nichts/und endlich schließt sich Juns Hand fest um Mormys Geschlecht, das warm und hart von einem Verlangen ist, das aus der Ferne und aus der Ewigkeit kommt/er fährt sich mit der Hand durchs Haar, Hector Horeau, und sagt: Wir haben verloren, Mr. Rail, das wollte ich Ihnen sagen, wir haben verloren/einfach so/es ist passiert/einfach so/es ist passiert/es ist passiert/einfach so/es ist passiert/es ist passiert/es ist passiert/ist da jemand, der sagen könnte, wie lange es dauerte? – den Bruchteil einer Sekunde – eine Ewigkeit – sie zogen aneinander vorbei, ohne sich auch nur anzuschauen, im Orkan der Klänge versteinert/Kein Crystal Palace? – Nein, kein Crystal Palace, Mr. Rail/er schaut wieder zu Boden, Pekisch, er scheint zu beten/aber sie ist im verborgensten Winkel des großen Ofens, und niemand kann sie sehen, Juns Hand, die über Mormys Geschlecht gleitet und ihn überall streichelt – die Innenfläche einer Mädchenhand und diese aufgescheuchte Haut, eines am anderen – gibt es ein schöneres Duell auf der Welt?/es ist wie ein Zauberknoten, der sich langsam löst – etwas wie ein gewendeter Handschuh – nun kehren sie sich den Rücken zu, die beiden kleinen Klangarmeen – nicht einer, der sich auch nur kurz umgedreht hätte, sie schauten starr vor sich hin, als sie aneinander vorbeimarschierten – wer sah denn überhaupt etwas in diesem Moment, überwältigt vom Glanz dieser Musik ohne Richtung und Ziel?/nein, alles, aber weinen nicht, nicht jetzt, alles, Pehnt, nur das nicht – warum? – nicht jetzt, Pehnt/und doch hat jemand geweint, in diesem Augenblick, und jemand hat gelacht, und jemanden hat man singen gehört – ich habe Angst gehabt, ich weiß es noch – panische Angst, daß es nie mehr aufhören würde – und dabei hört es doch langsam auf, Schritt für Schritt/Sie haben sich für Paxtons Entwurf entschieden – Wer ist Paxton? – Ein anderer als ich/Jun hört die Musik, die in ihrem Kopf verklingt, und gleichzeitig spürt sie Mormys regloses Geschlecht, von der Lust gebannt – das rhythmische, listige Gleiten dieser Hand – was kann ein Mann, der ein Junge ist, da noch tun – was kann er da noch tun, in so einer Falle?/und das Wiegenlied sammelt sich nun wieder für sich allein, und auf der anderen Seite filtert sich der Marsch heraus, der wie ein Kirchenlied klingt – sie gleiten mit dem Rücken zueinander fort – die Sehnsucht und der Ritus – ein Gefühl im anderen – im Kopf ist das, als verzögen sich die Wolken eines Wunders – die Sanftheit der Töne, die nun wieder auseinandergleiten – der Trost des Abschieds – das ist vielleicht das Bewegendste von allem – das Filigran des Abschieds – wenn man sie nur zwischen den Fingern spüren könnte – die Sanftheit, die den Augenblick des Abschieds webt/Es ist so etwas wie eine
Weitere Kostenlose Bücher