Land aus Glas
inmitten von all den anderen, und viel stärker als die anderen, an sie drängt, fest an ihren Rücken gepreßt bis hinunter zu den Beinen, eigentlich an ihren ganzen Leib – und natürlich weiß sie, wie sollte es auch anders sein, daß es Mormys Körper ist/inmitten all der Leute und doch allein ist Ort nun stehengeblieben – das Orchester hat ihn hinter sich gelassen, und die allgemeine Aufregung ist anderswo – er ist stehengeblieben – er nimmt die Posaune vom Mund, setzt ein Knie auf den Boden, dann das andere, er sieht und hört nichts mehr, spürt nur noch dieses ungeheuerliche Brennen, das ihn innerlich zerfrißt, diesen gierigen Bastard/natürlich wäre einer wie Mr. Rail fasziniert von alldem, er, der mit der Stirn gegen das Fenster gelehnt in diesem Moment den Arbeitern zusieht, die über seinen silbernen Schienen schwitzen – er hat gesagt, daß er kommt, also wird er kommen – sie pflügen den Boden, um die Aufregung einer Eisenbahn hineinzusäen – und er kommt wirklich, Hector Horeau, er steigt langsam den Weg zum Haus Rail hinauf – nicht mehr als eine Handvoll Minuten mag noch zwischen diesen beiden liegen, dem Mann der Eisenbahn und dem Mann des Crystal Palace/nicht mehr als hundert Meter mögen noch zwischen dem Wiegenlied und dem Marsch, der wie ein Kirchenlied klingt, liegen – sie haben sich gesucht, und sie werden sich finden – die Instrumente eines im anderen, und die Schritte, die unbeirrbar aneinander vorbeigleiten, genau über dieser unsichtbaren Linie, die exakt den Mittelpunkt der Straße markiert – genau dort, wo mit gesenktem Kopf reglos Pekisch steht, und auf der anderen Straßenseite Pehnt – Pehnt, der weggehen wird – Pehnt, der so etwas nie wieder hören wird – Pehnt, der in diesem Ofen der Klänge den leeren Augenblick eines Lebewohls verbrennt/vielleicht mußte man in diesem Ofen geschwitzt haben, um sich nun nicht darüber zu wundern, daß Juns Hand langsam hinunterglitt, bis sie das Bein dieses Mannes berührte, der ein halb weißer und halb schwarzer Junge war – Jun reglos, mit geschlossenen Augen und im Kopf die Flut dieser Klänge, die sie in einem unbeschreiblichen Schiffbruch aufsaugt – es gibt nichts Schöneres als die Beine eines Mannes, wenn sie schön sind – im verborgensten Winkel dieses ganzen Ofens eine Hand, die zu Mormys Bein hinuntergleitet, ein Streicheln, das etwas ersehnt, und das weiß, wohin – tausendmal hatte Mormy sie sich vorgestellt, nur so theoretisch, Juns Hand auf seinem Geschlecht, mit sanftem Druck, mit wildem Druck/und am Ende geschah es mit der sanften Erschöpfung der Besiegten, daß der kniende Ort zusammenbrach und mit dem Kopf den Boden berührte, so in der Schwebe wie in einer Anbetung verharrend, bevor er umfiel wie ein von einem Schuß zwischen die Augen getroffenes Tier, vom Tod zerschmettert, ein zerstörtes Bündel am Boden, die Stirn grotesk von einem Sonnenstrahl beleuchtet, der sich in der Posaune spiegelte, die mit ihm gestorben war und nun neben ihm lag/Todesahnung beschleicht einen beim Anblick der aufreizenden Langsamkeit, mit der diese beiden winzigen Klangarmeen aufeinander zumarschieren, Schritt für Schritt – dieses Kirchenlied, wie ein Ritus, feierliche Ergriffenheit, und darin der Unterton eines Marsches, der Schatten eines Triumphes vielleicht – und dieses Wiegenlied, das leicht dahinrollt wie aus nichts gemacht, wie aus Schaum gemacht, es gab viele solcher Dinge, als man klein war – der Ritus und das Wiegenlied – die Umarmung einer erleuchteten Kirche, die Zärtlichkeit des Schlafs – der Ritus, die Sehnsucht – ein Gefühl und noch ein Gefühl – eines beim anderen – was mag das wohl sein, wenn man eines im anderen aufgeschäumt sieht – und hört?/was mag er wohl bringen? überlegt Mr. Rail, als er hört, daß sich die Tür seines Arbeitszimmers öffnet – Hector Horeau steht da, mit zerzaustem Haar, die kastanienbraune Tasche in der Hand – es ist, als sei seit dem ersten Mal keine Sekunde vergangen – es ist, als sei dies schlicht und einfach eine Wiederholung/nur daß diesmal alles wirklich ist, schlicht und einfach Wirklichkeit, es ist wirklich Jun, und es ist ihre Hand, die zwischen seine Schenkel gleitet – so wie dieser schneeweiße Hals auf die Schulter hinabgleitet – wenn Mormy ihn jetzt sehen könnte, wüßte er, daß er vor Erregung glänzt und unmerklich zittert, in einem unendlich feinen und heimlichen Beben/ein Schauder ergreift sie alle, den einen mehr, den
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