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Land aus Glas

Land aus Glas

Titel: Land aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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wieder genommen haben, Stück für Stück, überall versteckt, nur um meine Wünsche auszuspähen. Ich bin Hector Horeau, und ich hasse euch! Ich hasse den Schlaf, den ihr schlaft, ich hasse den Stolz, mit dem ihr die Ödnis eurer Kinder wiegt, ich hasse alles, was eure verfaulten Hände berühren, ich hasse es, wenn ihr euch in Schale werft, ich hasse das Geld, das ihr in der Tasche habt, ich hasse den grausamen Fluch des Augenblicks, in dem ihr euch erlaubt, zu weinen, ich hasse eure Augen, ich hasse die Unzüchtigkeit eures guten Herzens, ich hasse die Pianos, die wie Särge den Friedhof eurer Salons bevölkern, ich hasse eure ekelhaft angemessenen Lieben, ich hasse alles, was ihr mir beigebracht habt, ich hasse das Elend eurer Träume, ich hasse das Geräusch eurer neuen Schuhe, ich hasse jedes einzelne Wort, das ihr je geschrieben habt, ich hasse jeden Augenblick, in dem ihr mich angefaßt habt, ich hasse jeden Moment, in dem ihr recht hattet, ich hasse die Madonnen, die über euren Betten hängen, ich hasse die Erinnerung an die Zeit, als ich mit euch geschlafen habe, ich hasse eure nichtigen Geheimnisse, ich hasse all eure schönsten Tage, ich hasse alles, was ihr mir gestohlen habt, ich hasse die Züge, die euch nicht weit wegbrachten, ich hasse die Bücher, die ihr mit euren Blicken besudelt habt, ich hasse die Widerwärtigkeit eurer Gesichter, ich hasse den Klang eurer Namen, ich hasse es, wenn ihr euch umarmt, ich hasse es, wenn ihr in die Hände klatscht, ich hasse, was euch anrührt, ich hasse jedes einzelne Wort, das ihr mir entrissen habt, ich hasse das Elend dessen, den ihr erkennt, wenn ihr in die Ferne seht, ich hasse den Tod, den ihr gesät habt, ich hasse jede Stille, die ihr zerrissen habt, ich hasse euren Duft, ich hasse es, wenn ihr euch versteht, ich hasse jeden Landstrich, der euch beherbergt hat, und ich hasse die Zeit, die über euch hinweggegangen ist. Jede Minute dieser Zeit ist ein Fluch gewesen. Ich verachte euer Schicksal. Und jetzt, wo ihr mir meines gestohlen habt, liegt mir nur noch daran, zu wissen, daß ihr krepiert seid. Der Schmerz, der euch zerreißt, werde ich sein, die Angst, die euch zerfrißt, werde ich sein, der Modergeruch eurer Leichen werde ich sein, die Würmer, die sich an euren Knochen mästen, werde ich sein. Und jedesmal, wenn euch jemand vergißt, werde ich zur Stelle sein.
    Ich wollte doch bloß leben.
    Ihr Schweine.«
    An jenem Tag zog der Assistent sanftmütig seine Streifenuniform an, um sie nie wieder abzulegen. Das Pendel hatte sich für immer verklemmt. In den sechs Jahren, die er noch im Hospital verbrachte, hörte ihn niemand ein Wort sprechen. Von den unzähligen Gewalttätigkeiten, aus denen sich der Wahnsinn speist, wählte der Assistent die subtilste und untadeligste für sich: das Schweigen. Er starb in einer Sommernacht, mit blutüberströmtem Gehirn. Ein gräßliches Röcheln trug ihn mit der jähen Gier eines Blickes fort.

3
     
    Wie man bereits Gelegenheit hatte festzustellen, pflegt das Schicksal seltsame Zusammentreffen zu arrangieren. Zum Beispiel war Pekisch gerade dabei, sein monatliches Bad zu nehmen, als er deutlich die Melodie von Duftende Blüten erklingen hörte. Das war an sich noch nichts Besonderes. Man bedenke aber, daß in diesem Augenblick niemand die Melodie von Duftende Blüten spielte. Weder in Quinnipak noch anderswo. Genaugenommen existierte diese Musik in diesem Augenblick nur in Pekischs Kopf. Von wer weiß wo hereingeschneit.
    Pekisch hörte auf zu baden, doch die außergewöhnliche und vollkommen private Aufführung von Duftende Blüten (für vier Singstimmen, Klavier und Klarinette) hörte nicht auf. Zum wachsenden Erstaunen des privilegierten und einzigen Zuhörers spielte sie den ganzen Tag weiter – in gedämpfter Lautstärke, doch mit konsequenter Beharrlichkeit. Das war an einem Mittwoch, und Pekisch mußte die Kirchenorgel stimmen. Er war in der Tat der einzige, dem es gelingen konnte, mit der unaufhörlichen Wiederholung von Duftende Blüten im Ohr irgend etwas zu stimmen. Es gelang ihm auch wirklich, doch er war erschöpft, als er zur Witwe Abegg nach Hause kam. Er aß schnell und schweigend. Als er unvermutet und im Grunde sogar ohne es zu merken anfing, zwischen einem Gabelbissen und dem nächsten vor sich hin zu pfeifen, unterbrach Mrs. Abegg ihren üblichen Abendmonolog und sagte fröhlich: »Dieses Lied kenne ich … «
    »Ach was!«
    »Das ist Duftende Blüten.«
    »Ach was!«
    »Es ist ein sehr schönes

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