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Land aus Glas

Land aus Glas

Titel: Land aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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darfst es niemandem erzählen. Aber so ist es./
    »Läßt du mich dann gehen, an dem Tag?«
    »Ja.«
    »Wirklich, Mr. Rail?«
    »Wirklich.«
    »Und bis dahin werden wir nie wieder über diese Geschichte sprechen, wirklich nie wieder?«
    »Wenn du nicht willst, nein.«
    »Dann nimm mich mit, damit ich mit dir leben kann. Bitte.«
    Deshalb kehrte Mr. Rail eines Tages aus Morivar zurück, und es war ein so schönes Mädchen bei ihm, wie Quinnipak noch nie eines gesehen hatte. Deshalb liebten sich diese beiden auf diese wunderliche Art, die von außen betrachtet unmöglich schien, aber trotzdem schön war, die, wenn man nur lernen könnte … Und deshalb auch tat Mr. Rail zweiunddreißig Jahre später viele Tage lang so, als sähe er die unscheinbaren Vorbereitungen nicht, die Juns Gesten entschlüpften, bis er es wirklich nicht mehr aushielt und, nachdem er in jener Nacht das Licht gelöscht hatte, ein paar wenige Augenblicke verstreichen ließ, dann die Augen schloß und anstatt:
    »Gute Nacht«
    zu sagen, fragte:
    »Wann fährst du?«
    »Morgen.« 
     
    Es geschehen Dinge, die wie Fragen sind. Eine Minute vergeht oder auch Jahre, dann antwortet das Leben. Es vergingen zweiunddreißig. Zweiunddreißig Jahre, bevor Jun ihren Koffer wieder aufnahm, das Päckchen an sich preßte und aus der Tür von Mr. Raus Haus trat. Früher Morgen. Die Luft von der Nacht reingewaschen. Wenig Geräusche. Niemand unterwegs. Jun geht den Weg zur Straße hinunter. Dort steht Arolds Kutsche und wartet auf sie. Er kommt jeden Tag hier vorbei. Es macht ihm nichts aus, es an jenem Tag ein bißchen früher als sonst zu tun. Danke, Arold. Keine Ursache. Die Kutsche fährt ab. Langsam läßt sie die Straße hinter sich. Sie wird nicht zurückkehren. Jemand ist gerade aufgewacht. Er sieht sie vorbeifahren.
    Es ist Jun.
    Es ist Jun, die fortgeht.
    Sie hat ein Buch in der Hand, das sie weit fortbringt. (Leb wohl, Dann. Leb wohl, kleiner Mr. Rail, der mir das Leben gezeigt hat. Du hattest recht: wir sind nicht gestorben. Es ist nicht möglich, in deiner Nähe zu sterben. Sogar Mormy hat gewartet, bis du weit weg warst, bevor er es tat. Jetzt bin ich es, die weit weg geht. Und ich werde nicht in deiner Nähe sterben. Leb wohl, mein kleiner Herr, der von den Zügen träumte und wußte, wo die Unendlichkeit ist. Alles, was war, habe ich gesehen, wenn ich dich ansah. Und wenn ich mit dir zusammen war, bin ich überall gewesen. Das ist etwas, das ich nie jemandem werde erklären können. Aber so ist es. Ich werde es mitnehmen, und es wird mein schönstes Geheimnis sein. Leb wohl, Dann. Denke nie anders als lachend an mich. Leb wohl.) 

 
Sechs

1
     
    »4200 zum ersten … 4200 zum zweiten … «
    »4600!«
    »4600 für den Herrn dort hinten im Saal, danke, 4600 … 4600 zum ersten … 4600 zum zweiten … wir sind bei 4600, meine Damen und Herren, Sie werden mich doch nicht zwingen, dieses Objekt von unbestreitbarem künstlerischem und, wenn Sie gestatten, auch moralischem Wert … zu verschenken, buchstäblich zu verschenken … wir waren bei 4600, meine Herrschaften, 4600 zum zweiten … 4600 …«
    »5000!«
    »5000! Ich sehe, meine Herrschaften, Sie haben Mut gefaßt … lassen Sie mich anhand meiner zehnjährigen Erfahrung sagen, einer Erfahrung, die jedermann gern nachprüfen kann, lassen Sie mich sagen, meine Damen und Herren, daß dies der rechte Zeitpunkt ist, Ihre Trümpfe auszuspielen … ich habe hier ein Gebot über 5000, und es wäre ein Verbrechen, es so ohne weiteres dabei bewenden zu lassen … «
    »5400!«
    »Der Herr erhöht um 400, danke sehr … Wir sind bei 5400 … 5400 zum ersten … 5400 zum zweiten … «
    Als die Güter von Mr. Rail versteigert wurden – eine lästige Prozedur, die durch die außergewöhnliche Hartnäckigkeit seiner Gläubiger unumgänglich geworden war –, wollte er nach Leverster gebracht werden, um persönlich daran teilzunehmen. Er hatte noch nie in seinem Leben eine Auktion gesehen – die Sache interessierte ihn.
    »Außerdem will ich jedem einzelnen von ihnen ins Gesicht sehen, diesen Geiern!«
    Er saß in der letzten Reihe. Kein Wort entging ihm, und er schaute sich wie gebannt um. Eines nach dem anderen gingen die wertvollsten Stücke seines Hauses weg. Er sah sie vorüberziehen und verschwinden, eines nach dem anderen, und versuchte sich die Salons vorzustellen, in denen sie landen würden. Er war der festen Überzeugung, daß der Besitzerwechsel keinem von ihnen behagte. Es konnte nicht mehr

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