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Land der Erinnerung

Land der Erinnerung

Titel: Land der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Freds Freund oder sein Feind. Was er vor allem verachtete, waren Anmaßung, Ehrgeiz und Knickerig-keit. Er machte nicht leicht Freunde, weil er schüchtern und zurückhaltend war, aber wer sein Freund geworden war, der blieb es sein Leben lang.

    Eine der Eigenschaften, die einen irritieren konnten, war seine Geheimniskrämerei. Er liebte es, mit manchem zu-rückzuhalten, nicht so sehr aus Unfähigkeit sich auszuspre-chen, sondern um immer eine Überraschung aus dem Ärmel ziehen zu können. Er wählte stets den richtigen Augenblick, um die Katze aus dem Sack zu lassen; er hatte einen untrüglichen Instinkt, einen im ungelegensten Augenblick aus der Fassung zu bringen. Es macht ihm Spaß, jemanden in eine Falle zu locken, besonders wenn es um seine angebliche Unwissenheit oder seine vermeintlichen Laster ging. Er ließ sich nie auf etwas festlegen, am wenigsten auf all das, was ihn selbst betraf.

    Als ich seine Bahn kreuzte, schien er bereits die
    sprichwörtlichen neun Leben einer Katze gelebt zu haben. Bei oberflächlicher Bekanntschaft hätte man sicher gesagt, er habe sein Leben vertan. Er hatte ein paar Bücher in deutscher Sprache geschrieben, aber ob sie veröffentlicht waren oder nicht, wußte niemand. Wenn die Rede auf seine Vergangenheit kam, war er ohnehin immer recht unbestimmt, außer wenn er betrunken war, und dann konnte er sich einen ganzen Abend lang über eine Einzelheit auslassen, zu deren Ausschmückung er gerade in der Stimmung war. Er gab nie zusammenhängende Abschnitte seines Lebens zum besten, nur solche beziehungs-losen Details, die er mit dem Geschick und dem Scharfsinn eines Strafverteidigers darzulegen wußte. Er hatte in der Tat so 64
    viele Leben geführt, so viele Identitäten angenommen, so viele Rollen gespielt, daß jeder Versuch, das Ganze in den Blick zu bekommen, dem Zusammensetzen eines Puzzlespiels gleich-gekommen wäre. Um ehrlich zu sein: er war sich selbst genauso rätselhaft wie anderen. Sein verborgenes Leben war nicht sein Privatleben , da er gar kein privates Leben hatte. Er lebte ständig en marge . Er war limitrophe - eines seiner Lieb-lingswörter - gegenüber allem; nur sich selbst gegenüber war er nicht limitrophe . In dem ersten Buch, das er auf französisch schrieb ( ‹Sentiments limitrophes› ), gab es mikroskopische Aufschlüsse über seine Jugend, die ans Visionäre grenzten.
    Ein Abschnitt, der zeigt, wie er im Alter von neun Jahren in seiner Heimat, der Schmelz, zum Leben erwachte, ist ein Meisterstück kortikaler Sektion. An diesem Punkt der Erzählung, die eine Autobiographie aux faits divers ist, hat man das Gefühl, daß er nahe daran war, eine Seele zu zeigen. Doch ein paar Seiten später verliert er sich wieder, und die Seele bleibt in der Unterwelt.

    Ein jahrelanger enger Kontakt mit einem Menschen
    seiner Art hat Vor- und Nachteile. Wenn ich auf die Jahre mit Fred zurückblicke, kommt mir nur das Gute in den Sinn, das aus unserem Bündnis erwuchs. Denn es war mehr ein Bündnis als eine Freundschaft, wenn ich das so sagen darf. Wir waren verbündet, um die Zukunft zu bestehen, die jeden Tag den Hydrakopf drohender Vernichtung zeigte. Nach einiger Zeit kamen wir zu der Überzeugung, daß es keine Situation gäbe, der wir uns nicht stellen und mit der wir nicht fertig werden könnten. Oft müssen wir eher den Eindruck von Verschwore-nen als von Freunden gemacht haben.

    In allem war er der Clown, sogar in der Liebe. Er
    konnte mich zum Lachen bringen, wenn ich vor Wut kochte.
    Mir scheint, ich kann mich an keinen Tag erinnern, an dem wir nicht herzlich gelacht hätten, oft bis uns die Tränen in die Augen traten. Die drei Hauptfragen, die wir einander bei jeder Begegnung stellten, lauteten: 1. Haben wir etwas zu essen? 2.
    Wie war die Puppe im Bett? 3. Schreibst du?

    Alles drehte sich um diese drei Bedürfnisse. Am
    Schreiben war uns am meisten gelegen, aber wir taten immer so, als wären die beiden anderen Dinge wichtiger. Schreiben 65
    war eine Konstante, wie das Wetter. Essen und Lieben waren Glückssache: man konnte sich auf keines von beiden ver-.
    lassen. Geld, sofern wir's hatten, teilten wir bis auf den letzten Franc. Nie wurde gefragt, wem es gehörte. «Haben wir Zas-ter?» fragten wir, genauso, wie wir fragten: «Haben wir was zu essen?» Wir hatten's oder wir hatten's nicht, und damit war die Sache erledigt. Unsere Freundschaft begann in diesem Ton und blieb so, bis wir uns trennten. Es ist eine so einfache, praktische Art zu leben,

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