Land der Erinnerung
daß ich mich frage, warum sie nicht in weltweitem Rahmen versucht wird.
Drei Besitztümer gab es, an die er sich klammerte -
trotz aller Leihhäuser und Verluste der dunklen Tage: seine Schreibmaschine, seine Taschenuhr und seinen Füllfederhalter. Jeder einzelne dieser Gegenstände war von bester Qua-lität, und er pflegte sie, wie ein Maschinist seine Lokomotive gepflegt hätte. Er sagte, es seien Geschenke, Geschenke von Frauen, die er geliebt habe. Vielleicht waren sie das wirklich.
Ich weiß, daß er sie hütete. Von der Schreibmaschine konnte er sich am leichtesten trennen -vorübergehend natürlich nur.
Eine Zeitlang schien sie mehr in der Pfandleihanstalt zu liegen als chez nous . Das sei gut so, pflegte er zu sagen; es zwinge ihn, mit der Feder zu schreiben. Die Feder war ein Parker-Füllhalter, der schönste, den ich je gesehen hatte. Wenn man ihn bat, ihn benutzen zu dürfen, schraubte er zunächst die Kappe ab, bevor er ihn überreichte. Das war seine feine Art zu sagen: «Behandle ihn gut!» Die Uhr trug er selten bei sich. Sie hing an einem Nagel über seinem Arbeitstisch. Sie ging stets auf die Minute genau.
Wenn er sich zur Arbeit setzte, waren diese drei Gegenstände immer zugegen. Sie waren seine Talismane. Er konnte mit keiner anderen Maschine oder Feder schreiben.
Später, als er sich einen Wecker anschaffte, zog er dennoch seine Uhr regelmäßig auf. Die Zeit las er immer auf ihr ab, nicht auf dem Wecker. Wenn er die Wohnung wechselte, was ziemlich oft vorkam, trennte er sich jedesmal von irgendeinem kostbaren Andenken, das er jahrelang aufgehoben hatte. Es machte ihm Spaß, umziehen zu müssen. Es bedeutete, daß er sein Gepäck verkleinern mußte, denn alles, was er sich zuges-tand, war ein kleiner Handkoffer. Was nicht in diesen einen 66
Koffer hineinging, wurde weggeworfen. Dinge, an denen er hing, waren Souvenirs - eine Postkarte von einem alten Freund, ein Foto von einer alten Liebe, ein Taschenmesser, das er auf dem Flohmarkt gefunden hatte. Immer waren es Kleinigkeiten. Er warf einen Pullover oder eine Hose weg, um Platz für seine Lieblingsbücher zu schaffen. Natürlich rettete ich immer die Sachen, von denen ich wußte, daß er sie nicht wirklich loswerden wollte. Ich stahl mich in sein Zimmer zu-rück und packte sie in ein Bündel; ein paar Tage später erschien ich damit und übergab sie ihm. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war dann wie der eines Kindes, das ein altes Spielzeug wiederfindet. Er konnte vor Freude weinen. Um jedoch zu beweisen, daß er die Sachen wirklich nicht brauchte, kramte er irgendeinen wertvollen Gegenstand hervor und machte ihn mir zum Geschenk. Es war, als wollte er sagen:
«Nun gut, ich behalte den Pullover (oder die Hose), weil du darauf bestehst; aber hier ist mein wertvoller Fotoapparat. Ich brauche ihn wirklich nicht mehr.» Was das Geschenk auch immer sein mochte, es war kaum wahrscheinlich, daß ich da-für Verwendung hatte; aber ich nahm es an, als wär's ein kö-
nigliches Geschenk. In einer sentimentalen Stimmung bot er mir manchmal seinen Füllfederhalter an - die Schreibmaschine konnte ich nicht gebrauchen, weil sie ein französisches Alpha-bet hatte. Die Uhr habe ich mehrmals angenommen.
Er hatte eine Stelle bei der Zeitung und konnte sich darum seiner Schriftstellerei nur ein paar Stunden am Nachmittag widmen. Um sich nicht damit zu quälen, wieviel oder wiewenig er schaffte, machte er es sich zur Regel, genau zwei Seiten am Tag zu schreiben, nicht mehr. Wenn er auf der zweiten Seite unten angekommen war, hörte er mitten im Satz auf. Er schien immer äußerst froh zu sein, soviel geleistet zu haben. «Zwei Seiten am Tag, 365 Tage im Jahr, das macht 730», pflegte er zu sagen. «Wenn ich 250 in einem Jahr zu-sammenbekomme, bin ich zufrieden. Ich schreibe keinen roman fleuve .» Er hatte Verstand genug, um zu wissen, daß man mit den besten Vorsätzen der Welt selten die innere Kraft auf-bringt, an jedem Tag der Woche zu schreiben. Er machte Zu-geständnisse an schlechte Tage: Niedergeschlagenheit, Kater-stimmungen, ein neuer Betthase, unerwarteter Besuch und so 67
weiter. Selbst wenn die Unterbrechung sich über eine Woche hinzog, versuchte er nie, mehr als die zwei Seiten, die er sich als Tagespensum gesetzt hatte, zu schreiben. «Es ist gut, sich nicht ganz zu verausgaben», sagte er dann heiter. «Man bleibt frisch für den nächsten Tag.» - «Aber ist dir nicht manchmal danach zumute, sechs oder sieben Seiten zu schreiben?»
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