Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond

Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond

Titel: Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
derjenige warst, der den Stein ins Rollen gebracht hat«, fuhr er genüsslich fort, »wirst du als unser Gesandter nach Iónador gehen.«
    »Ich?« Segges’ von der Kälte gerötete Nase wurde bleich.
    »Freilich, wer sonst? Und deinen Saugrind nimm gleich mit, auf dass die hohen Herren ihn sich ansehen können.«
    »A-aber… das geht nicht. Ich hab einen Hof und Tiere zu versorgen, dazu eine Frau und zwei Töchter. Die Reise nach Iónador ist weit und gefahrvoll, und mit den hohen Herren dort ist nicht immer gut Kirschen essen, wie ihr wisst.«
    »Er hat recht«, kam Stank ihm zur Hilfe, der mit dem Segges befreundet war. »Außerdem können wir es uns angesichts der Hungersnot, die uns droht, nicht leisten, einen so fleißigen Bauern fortzuschicken. Wir alle hätten darunter zu leiden.«
    Allgemeine Zustimmung wurde gemurmelt, sehr zu Segges’ Erleichterung und zu Grindls Verdruss.
    »Wen sollen wir dann schicken?«, fragte der Magistrat unwirsch und schaute den Stank böse an. »Dich etwa?«
    »Es muss jemand sein, der keine Familie hat«, überlegte der Stank. »Jemand, der keine Felder bestellen muss.«
    »Ein Sonderling und Eigenbrötler«, fügte die Witwe Burz rasch hinzu. »Jemand, den wir nicht vermissen werden.«
    »Der Gilg!«, rief der Segges aus – und erntete allerseits Zustimmung.
    »Jawoll, der Gilg!«
    »Der Gilg muss gehen!«
    »Er hat’s eh schon nah beisammen.«
    »Der Gilg ist ein komischer G’sell.«
    »Er ist ein fauler Strick!«
    »Er hat keine Manieren!«
    »Er schindet die Tiere.«
    »Er nimmt die Mütz nie ab beim Essen.«
    Diese und noch mehr Freundlichkeiten wurden über den Gilg zusammengetragen, die alle belegen sollten, dass er der rechte Mann wäre, um nach Iónador entsandt zu werden, und schon kurz darauf war man einig. Magistrat Grindl sah ein, dass es sinnlos war, der gefassten Meinung widersprechen zu wollen.
    »Also gut«, sagte er deshalb, »so soll es geschehen. Wir werden den Gilg nach Iónador schicken, auf dass er die Herren der Goldenen Stadt um Rat und Hilfe bitte.«
    »Und wenn er nicht will?«, stellte jemand eine offenkundig völlig überflüssige Frage.
    »Er wird wollen müssen«, entschied der Magistrat und legte sämtliche Autorität in seine Stimme, die ihm noch geblieben war. »Andernfalls wird er des Dorfes verwiesen und kann sich Feuer und Wasser in der Fremde suchen.«
    »Dann hat er keine Wahl.«
    »Der Gilg ist unser Mann.«
    »Er und kein anderer…«
    Belmus Grindl grinste über sein ganzes feistes Gesicht. Wieder einmal war es ihm gelungen, eine angeblich dringliche Angelegenheit im Sitzen zu bewältigen und die Verantwortung auf einen anderen abzuwälzen. Im Leben wäre er nicht darauf gekommen, selbst die Reise nach Iónador anzutreten, dafür war ihm der Weg viel zu weit und zu beschwerlich. Einmal mehr hatte er sich die Einfalt der Menschen zunutze gemacht und konnte sich nun wieder den wichtigen Dingen des Lebens zuwenden, wie etwa der Probe des Winterbiers, von dem er bereits zwei Fass eingekellert hatte.
    Seine Vorratskammern waren bis unter die Decke gefällt, er brauchte sich also nicht zu sorgen. Und bis tatsächlich ein Unhold seinen Weg aus den Bergen herab ins Unterland fand, konnten Monate, wenn nicht Jahre vergehen, sodass er auch daran keinen Gedanken verschwendete. Was immer dem Gilg auf seiner Reise zustieß, ob er Iónador tatsächlich erreichte und ob die hohen Herren ihn anhörten oder in den dunkelsten Kerker warfen, konnte Belmus Grindl also egal sein – Hauptsache, er hatte wieder seine geliebte Ruhe und konnte weiterhin das tun, was er nun einmal am liebsten tat.
    Nichts…
    »Genau so ist es«, sagte er deshalb, das breite Grinsen um seine feisten Züge kaum verhehlend. »Der Gilg muss gehen…«

 
    4
     
     
     
    Iónador war die Stadt der Herren. Seit Menschengedenken lag sie am Fuß des Giáthin Bennan, des Schildbergs, der sich mit seinem gewaltigen Überhang aus mehreren hundert Klafter dickem Fels schützend wie ein Schild über der Stadt wölbte, was dem Berg seinen Namen verlieh.
    Es hieß, Iónador wäre uneinnehmbar. Denn der Schildberg bewahrte die Stadt vor Angriffen aus dem Süden, und zu allen anderen Seiten war sie vom Wasser des Spiegelsees umgeben. Nur eine einzige Brücke führte über die grün schimmernden Fluten – eine Zugbrücke. Holte man sie ein, wurde aus der Stadt eine uneinnehmbare Festung, mit trutzigen Mauern und Türmen, die schon vielen Angriffen standgehalten hatten. Noch niemals in der

Weitere Kostenlose Bücher