Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond

Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond

Titel: Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
tun sollen?«, fragte Grindl. »Es ging uns gut, und die Ernte war bislang stets reichlich. Wer hätte ahnen können, dass sich die Zeiten einmal derart ändern?«
    »Du!«, rief da der Bauer Segges, ein schwergewichtiger Mann mit buschigen Brauen und vollem Bart, der stets für ein offenes Wort zu haben war. »Wir haben dich gewählt, damit du unser Dorf verwaltest, Belmus, aber das hast du nicht getan. Stattdessen bist du den lieben langen Tag auf deiner Kehrseite gesessen und hast Dunkelbier gesoffen.«
    Das war ein weiterer Angriff auf den Magistrat – dergleichen war noch nie vorgekommen. Grindls fleischige Züge wurden zornesrot, und er wollte den Bauern mit einer geharnischten Erwiderung zurechtweisen, als die Witwe Burz und der Bauer Gegg in dieselbe Kerbe schlugen.
    »Der Segges hat recht, du hast deine Pflichten vernachlässigt!«
    »Nun stehen wir mit leeren Händen da, wo doch ein bitterer Winter bevorsteht!«
    »Woher wollt ihr wissen, dass es ein harter Winter wird?«, fragte Grindl schnippisch. Die Kritik an seiner Person ging ihm auf die Nerven, und desto mehr war er gewillt, die Sache auszusitzen wie all die anderen Male.
    »Es gibt Zeichen«, sagte Bauer Segges und sprach damit jenes Thema an, vor dem sich insgeheim alle fürchteten.
    »Was für Zeichen?«
    »Es heißt, dass sich seltsame Wesen in den Bergen herumtreiben.«
    »Geschwätz!«, sagte Grindl abweisend.
    »Angeblich«, fuhr der Segges unbeirrt fort, »sollen sie aussehen wie Schweine, aber so groß sein wie Menschen und aufrecht auf zwei Beinen gehen.«
    »Erle!« Die Witwe Burz hauchte dies schreckliche Wort, worauf ein entsetztes Raunen durch die Versammlung ging.
    »Erle…«, wiederholte Grindl spöttisch. »Was für ein Schmarren. Ihr werdet an diese alten Ammenmärchen doch nicht etwa glauben, oder? Die Erle sind vor langer Zeit ausgestorben – wenn es sie denn je gegeben hat!«
    »Der Walch aus dem Egg sagt etwas anderes.«
    »Der Walch ist ein Schwätzer. Wenn seine Ernte so groß wäre wie sein Maul, wäre er ein reicher Mann.«
    »Aber die Legenden sagen«, so wandte der Bauer Stank ein, »dass die Erle einst wiederkommen und großes Unheil über uns bringen werden. Und dass dann der Gelttag anbrechen und die Welt in Eis und Schnee versinken wird.«
    »Und so etwas glaubt ihr?« Grindl nahm einen weiteren Schluck Bier und wischte sich unwirsch den Schaum von den Lippen. »Es gibt keine Erle«, war er überzeugt. »Lasst euch das ein für alle Mal gesagt sein!«
    »Und wenn doch?«, fragte der Bauer Segges.
    »Beweise es!«, verlangte der Magistrat mit breitem Grinsen – das jedoch auf seinen Zügen gefror, als Segges vortrat, einen groben Sack aus Leinen in den Händen. Kurzerhand löste er die Verschnürung und griff hinein. Was er herausholte und vor Grindl auf den Boden warf, löste unter den Anwesenden spitze Schreie aus.
    »Ein Saugrind!«, rief der Gegg entsetzt.
    »Dummkopf!«, beschied ihm Bauer Stank. »Siehst du nicht, dass das kein Saugrind ist?«
    Der Stank hatte recht. Auf den ersten Blick mochte das, was zu den Füßen des Magistrats lag und auf den hölzernen Dielen hin- und herkullerte, bis es schließlich reglos liegen blieb, tatsächlich wie ein Schweinskopf aussehen. Aber da waren einige Dinge, die sich grundlegend unterschieden: Zum einen war dies die Farbe der von Narben übersäten Haut, die schmutzig braun war, zum anderen das borstige Haar, das sich in einem schmalen, wie zurechtgestutzten Kamm vom Scheitel bis zum Nacken zog. Hinzu kamen die großen Hauer, die wie bei einem Keiler aus den Maulwinkeln ragten, und die schwarzen, leblos starrenden Augen.
    Obwohl es niemand offen aussprach, wussten alle Anwesenden, was sie da vor sich hatten: das Haupt eines Erls, eines jener schweinsköpfigen Unholde, von denen in alten Sagen berichtet wurde und die es laut Magistrat Grindl nicht gab.
    »Was sagt du nun, geschätzter Belmus?«, rief Bauer Segges herausfordernd.
    »Wo-woher hast du dieses… dieses Ding?«
    »Ein Landsmann aus dem Hintertal hat es mir gegeben. Mit Frau und Kindern ist er den Fluss herabgeflohen und hat in meinem Heuboden übernachtet. Dies gab er mir als Bezahlung und riet mir, mich mit allem davonzumachen, was mir lieb und teuer ist. Das Ende der Welt stünde bevor, sagte er, und wie jeder wisse, träfe es Allagáin zuerst.«
    Ein furchtsames Wimmern ging durch die Versammlung. Jeder kannte die Prophezeiungen und die Geschichten, die sich um den Untergang Allagáins rankten – sie nun

Weitere Kostenlose Bücher