Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
geduldet.
Doch vor dem frühen und strengen Winter, der sich in diesem Jahr ankündigte, bot auch der Fleiß der Allagáiner keinen Schutz.
Im Frühjahr hatte es eine Krähenplage gegeben; ein beträchtlicher Teil des Saatguts, das man auf den Feldern ausgebracht hatte, war in den Mägen der gefräßigen Vögel gelandet, sodass die Ernte ohnehin spärlich genug ausfallen würde. Nun jedoch drohte der frühe Frost auch noch den kläglichen Rest zu vernichten. Eine Hungersnot stand bevor.
In vielen Dörfern und Gemeinden gab es deshalb Versammlungen, in denen die Bauern den Dorfverwaltern ihre Sorgen vortrugen. Man fürchtete, dass der bevorstehende Winter lang und hart werden und dass vor allem Kinder und Alte die eisigen Tage nicht überleben würden, wenn die Kornkammern nicht gefällt waren. Daraufhin taten die meisten Magistrate das, was sie in solchen Fällen stets zu tun pflegten: Sie beteuerten ihr Verständnis für die Sorgen der Bevölkerung und kündigten an, beim nächsten Opferfest ein gutes Wort beim Schöpfer einzulegen. Damit waren ihre Schützlinge gewöhnlich zufrieden.
In einer kleinen Siedlung im Unterland jedoch, deren Name längst vergessen ist, nahm die Versammlung einen anderen Verlauf.
Auf einen Antrag des Bauern Segges hin war man im Haus des Magistrats zusammengekommen. Das Haus war ein länglicher Bau mit Wänden aus Stein, wie ihn sich die meisten Bewohner des Hügellands nicht leisten konnten. Nicht nur die Dorfbewohner – allen voran der Schmied, der Müller und der Wirt des Gasthauses »Zum Springenden Hirsch« – hatten sich eingefunden, sondern auch die Bauern der umliegenden Gehöfte, darunter auch der Segges und seine Frau. Selbst die Haubers vom fernen Einsiedlerhof nahe der Waldgrenze waren gekommen.
Zunächst verlief die Zusammenkunft so wie jede andere, die einberufen worden war, seit man den ehrwürdigen Belmus Grindl zum Magistrat bestimmt hatte. Grindl ließ sich einen großen Krug Bier einschenken und leerte ihn bis auf den Grund. Auf seinem breiten, fellbespannten Sessel thronend, hörte er sich dann an, was seine Untergebenen zu sagen hatten, entschlossen so zu verfahren wie immer: Grindl war nämlich bekannt dafür, die Dinge auszusitzen, und es gab böse Zungen, die behaupteten, sein breites Hinterteil wäre dafür auch wie gemacht. Diesmal jedoch deutete sich an, dass sich die Dorfbewohner damit nicht zufrieden geben würden.
Denn der frühe Winter und die knappen Vorräte waren nicht das Einzige, was die Männer und Frauen beunruhigte. Es hatte Gerede gegeben, Gerüchte, die sich wie Lauffeuer verbreiteten. Natürlich wollte man wissen, ob es der Wahrheit entsprach, was allerorten hinter vorgehaltener Hand getuschelt wurde…
»Wohl, Grindl«, sprach der Gegg vom Klauberhof, »das Laub fällt früh, und ein harter Winter kündigt sich an. Was wirst du dagegen unternehmen?«
Der Magistrat wog sein klobiges Haupt, das ohne Hals auf seinem feisten Körper zu sitzen schien. Es war schwer zu sagen, ob Grindl wirklich nachdachte oder nur so tat. Jedenfalls ließ er nach einer Weile ein gravitätisches Brummen vernehmen und schickte seinen Diener nach einem zweiten Krug Bier.
»Mit Biertrinken allein wird es diesmal nicht getan sein«, ereiferte sich der Bauer Stank, der als Hitzkopf verschrien war. »Wenn nichts geschieht, werden unsere Familien diesen Winter Hunger leiden, und das Vieh geht uns ein vor Kälte. Ein Bub ist mir in einem grimmigen Winter bereits gestorben, Grindl. Ich will nicht auch noch meinen zweiten verlieren.«
»Was erwartet ihr von mir?«, ließ sich der Magistrat endlich zu einer Antwort herab. »Ich mache das Wetter nicht.«
»Das nicht«, räumte die resolute Witwe Burz ein, die zusammen mit ihrer Nichte einen kleinen Hof am Dorfrand bewirtschaftete, »aber als unser Magistrat bist du dafür verantwortlich, dass beizeiten Maßnahmen ergriffen werden. Du jedoch hast den ganzen Sommer nichts anderes getan, als faul auf deinem Hintern zu sitzen und Bier zu trinken.«
»Frauenzimmer«, konterte der Magistrat beleidigt, »du vergreifst dich im Ton. Wir wollen nicht vergessen, dass ich ein gewählter Würdenträger bin. Ihr alle habt für mich gestimmt, wisst ihr noch? Und ich habe versprochen, dass ich mich um alles kümmern werde.«
»Um deinen Wanst hast du dich gekümmert, das ist alles!«, rief der Stank. »Die Magistrate der anderen Gemeinden haben fleißig Opfer gebracht und den Wettergeistern gehuldigt.«
»Wozu hätte ich so etwas
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