Land der Sehnsucht (German Edition)
und seine Frau Hannah in der Tasche hatte. Er hatte klare Anweisungen bekommen, ihn persönlich zu übergeben, und er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Annabelle wollte, dass die drei sich kennenlernten. Er freute sich darauf.
Danach wollte er in Willow Springs zum Ufer des Fountain Creek gehen und Jonathan McCutchens, der auf dem Treck gestorben war, die letzte Ehre erweisen. Auf dem Weg durch Idaho hatte Jack die Gelegenheit genutzt, Annabelle und ihren zweiten Mann zu besuchen. Die Erinnerung an diesen Besuch entlockte ihm ein Lächeln. Er war überzeugt, dass Jonathan McCutchens mit ihrer Wahl voll und ganz einverstanden wäre.
Genauso, wie er Jacks jetzige Entscheidung gutheißen würde.
Etwas an der Art, wie Jonathan von der Stadt und seinen Entdeckungen dort gesprochen hatte, machte Jack neugierig. Er brauchte einen Neuanfang und hoffte, er fände ihn in dieser Kleinstadt im Schatten des Pikes Peak.
Kapitel 2
Willow Springs, Colorado-Territorium
5. April 1871
Véronique war der letzte Fahrgast, der in Willow Springs aus der Postkutsche stieg. Sie hatte kaum einen Fuß zur Tür hinausgestreckt, als auch schon eine Gruppe von einem halben Dutzend Gentleman – sie benutzte diese Bezeichnung sehr großzügig – mit ausgestreckten Händen und einem erwartungsvollen Lächeln bereitstanden, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Die Mienen der Männer waren ihr ein wenig zu erwartungsvoll.
Sie entschied sich für den Gentleman in der Gruppe, von dem sie wusste, dass diese Bezeichnung auf ihn wirklich zutraf – den redseligen älteren Herrn, der sie auf dem Weg von New York City in diese weite, kahle Wildnis begleitet hatte, die diese Amerikaner allen Ernstes Colorado-Territorium nannten. Wenn sie mit Territorium ein weites, dürres, verlassenes Stück Erde meinten, dann hatten sie den richtigen Begriff gewählt. Allerdings mit einer beeindruckenden Ausnahme, wie sie einräumen musste: Die hohen, imposanten Berge, die so stolz den Horizont im Westen säumten.
Ein Gipfel tat sich in seiner stolzen Pracht besonders hervor und überragte alles andere, das in seinem Schatten stand, bevor er, so schien es, die Schwelle zum Himmel berührte. Die höchsten Gipfel waren von einer frischen Schicht Neuschnee bedeckt, was bei der Kälte, die hier in der Luft lag, nicht überraschend war. Dieser Anblick war atemberaubend schön! Und sie musste zugeben, dass die Luft so frisch roch, dass sie gerne tief einatmete. Es war das genaue Gegenteil von der stickigen Luft in Paris, die den beißenden Gestank von Abfällen und Abwässern mit sich trug.
„Passen Sie auf, wohin Sie treten, Miss“, grinste Monsieur Bertram Colby, während seine schwielige Hand ihre kleine Hand, die in einem Handschuh steckte, festhielt. „Diese erste Stufe ist für jemanden von Ihrer Statur ein wenig groß.“
Véronique hielt ihren ungeöffneten Sonnenschirm in der Hand und schaffte es, mit derselben Hand die Falten ihres Rocks etwas zu raffen und ihren Fuß auf die wackelige Stufe zu stellen. Nachdem sie drei Wochen in Monsieur Colbys Begleitung gereist war, hatte sie sich an die übliche Warnung des Mannes gewöhnt und konnte mit seiner Hilfe das Gleichgewicht halten. Auch wenn ihr erster Eindruck von den Amerikanern nicht allzu positiv ausfiel – sie fand sie insgesamt zu aufdringlich, zu laut und viel zu direkt –, gab sie gern zu, dass Bertram Colby trotz seines rauen Äußeren in jeder Hinsicht ein Gentleman war.
„Herzlichen Dank, Mr Colby.“ Véronique entging das Funkeln in seinen Augen nicht. „Merci beaucoup, Monsieur“, fügte sie leiser hinzu und wurde mit der erwarteten hochgezogenen Braue belohnt.
Er nickte kräftig. „Es gefällt mir, wenn Sie in Ihrer Sprache sprechen, Madam. Sie klingt sehr hübsch und passt gut zu Ihnen.“
Mehrere der Männer, die in der Nähe standen, nickten zustimmend, bevor ihre kollektive Aufmerksamkeit von ihrem Gesicht zu einer Stelle wanderte, die erheblich tiefer lag: zu ihrem Rock, der durch ein darunterliegendes Gestell direkt über dem Gesäß aufgebauscht war.
Véronique blickte auf die Kleidung hinab, die sie heute Morgen ausgewählt hatte. Anscheinend kannte man den „Cul de Paris“ hier im Wilden Westen nicht. Obwohl sie sich inzwischen ein wenig daran gewöhnt hatte, dass sie mit ihrer Kleidung viel Aufmerksamkeit auf sich zog, fühlte sie sich immer noch nicht ganz wohl dabei. Die Jacke mit den Blumenapplikationen und der Rock mit der kunstvollen Schärpe, der
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