Land Spielen
städtisch sei. Aber wem hätte das auch auffallen sollen außer ihm und dem Gemeindepräsidenten? Und der Gemeindepräsident hätte sowieso keinen Städter befördert, also konnte der Gemeindemann ruhig bleiben und sich freuen, dass er einem Neuen die Dorfgeschichten erzählen konnte. Er erklärte ihm gerne die Regeln, wie damals mit der Hecke, hier im Hirschen kann er aber nicht helfen, kann der Neuankömmling denn nicht sehen, dass bei ihm am Tisch und in der Dreierrunde kein Platz ist für einen Vierten?
Man muss mit hohem Einsatz spielen, wenn man spielt. Das wissen alle von uns, und unser Mutigster setzt deswegen alles ein, lässt sogar seine Frau vor ihrem Apfelsaft sitzen, nimmt Platz neben dem Gemeindemann, grüßt freundlich in die Runde, prostet allen zu und bringt die Gespräche am Tisch zum Verstummen. Der Schreiner, der am Tisch sitzt, könnte jetzt fragen, wie es um das Haus und um die Treppe stehe. Der Bauer, der die Wiese neben unserem Haus mähte, könnte fragen, ob wir nicht mal die Hecke schneiden wollten, die Haselsträucher wüchsen etwas gar üppig. Oder man könnte sich über die Kinder unterhalten, die gemeinsam zur Schule gehen, die weniger Berührungsängste haben, die Fäusteausteilen oder Eckequetschen spielen. Ersteres, um sich abzugrenzen, Letzteres, um sich näherzukommen. Hier am Tisch kommt aber keiner aus sich heraus, keiner will sich vor den anderen bloßstellen. Hier beherrscht jeder die Regeln. Außer dem, der als Letzter dazukam, der jetzt anfängt, seinen viel gepriesenen Charme einzusetzen und seine rhetorischen Fähigkeiten: Er erzählt vom Leben auf dem Land und dass es ein schöner Flecken Erde sei hier, er habe diesen Ort immer bewundert, bis er dieses Haus gefunden habe, alt zwar, zwar heruntergekommen, aber man könne was daraus machen, und ob irgendeiner in der Runde einen der Vorbewohner kenne. Einer kennt einen, sagt: Ja, den einen da, den kenne er noch, das sei der Vor-Vorgänger gewesen, ein großer Trinker. Irgendwann habe der Hausverbot bekommen im Hirschen. Die Lampen habe der einmal kaputtgehauen im Suff. Und zwar alle. Man habe im Dunkeln gesessen, unter Scherbenregen, die Wirtin habe erst die Polizei und dann Kerzen geholt. Heimelig sei das gewesen, stimmungsvoll. Leider habe es da die Jukebox noch nicht gegeben. Und das Trio spiele ja höchstens einmal im Monat. Im Kerzenlicht hätten sie damals weitergetrunken, nur der eine nicht, der sei nach Hause geschickt worden. Die Rechnung, die der dann geschickt bekam, habe er nie bezahlt, aber er sei von da an zu Hause geblieben. Habe von da an dort weitergetrunken bis zu seinem frühen Tod. Umgebracht habe der sich. Zu Tode gesoffen. Und danach habe ja noch dieser andere im Haus gewohnt, aber da wisse er nichts, sagt der, der es durchaus wüsste, der jetzt aber schon viel zu viel gesagt hat. Das Gespräch ist schon in vollem Gange wegen ihm, voller Punktgewinn für den Neuankömmling!
Und da kommt es dem Gemeindemann gerade recht, dass jetzt die Frau des Neuen an den Tisch kommt und sagt, sie gehe jetzt nach Hause, Moritz könne ja noch bleiben, sie finde den Weg schon, nur den Apfelsaft müsse er noch bezahlen, sie habe kein Geld dabei. Dann sagt sie nicht: »Meine Herren!«, und klopft auch nicht auf den Tisch, macht also alles falsch, was man falsch machen kann, und macht sich mit einem »Auf Wiedersehen« davon. Und jeder in der Runde hätte jetzt gerne den Rückschlag des Neulings gefeiert. Wäre es eine der eigenen Alten gewesen, hätte man jetzt über sie gelacht, oder über den Pantoffelhelden, und gesagt, dass es gut sei, dass er sich wehre, dass er noch bleibe. Vielleicht hätte man gefragt, ob man sich mal um die Alte kümmern gehen solle. Dann hätte man gelacht und auf den Tisch gehauen dabei. Aber jetzt sagt man nichts, starrt nur vor sich hin, während unser letzter Spieler auf dem Feld seine letzte Trumpfkarte zieht und das Thema Politik anschneidet.
»Milchkontingent«, sagt der Städter. »Bauernsterben«, sagt er. Er sagt: »Flurpflege.« Fügt an: »Aufwertung der Landschaft.« Er will ansetzen zu: »Selbstbestimmte Arbeit«, wird unterbrochen, erntet ein: »Jaja.« Ein: »Nur reden kann jeder.« Ein Schweigen von der ganzen Runde.
Die Dreiergruppe überlegt sich, was man mit dem vierten Mann anfangen soll, bis das Schweigen selbst die trainiertesten Nichtssager zu langweilen beginnt, und einer fragt: »Kannst du Schieber?«
Jetzt wird Karten gespielt. In dieser Gegend spielt man zu viert,
Weitere Kostenlose Bücher