Land Spielen
weghungern kannst du dich nicht von dieser Welt.
Du isst einen Löffel voll, vergisst, was du gerade tust, ich erinnere dich daran, du überlegst, ob du tun willst, was du tust, ich befehle es dir. Meine Stimme wird fest: »Jetzt iss einfach und hör auf zu weinen!« – »Bitte«, schiebe ich nach, doch das hörst du schon nicht mehr. »Du liebst mich nicht mehr«, sagst du, »sonst würdest du nicht so mit mir reden.« Ich sage: »Darum geht es nicht.«
Und du weinst und schreist, bis die Nachbarin klingelt und fragt, ob alles in Ordnung sei. Ich öffne und sage, nichts sei in Ordnung. Und ich bedanke mich, dass sie fragt. Ich schlage sie nicht, keine Angst, sie ist von ganz allein so, füge ich nicht hinzu. Und schließe die Tür. Und einen Tag später kommt ihr Mann, fragt nach einem Schluck Milch, Milch gibt es hier reichlich, seit du nur noch Brei isst. Heute hast du es zur Arbeit geschafft. Ich warte, wie lange du es aushältst, bin froh um die kurze Zeit für mich. Wäsche waschen, Staubsaugen, Videokassetten zusammensuchen, Burgen wegräumen, Messer verstecken.
Der Nachbar tut, als sehe er nicht die verwüstete Wohnung, die fehlenden Bilder, die Kistenberge, die im Flur in den Himmel wachsen und auch ins Wohnzimmer hinein. Gleich am ersten Abend schon hast du alles zusammengepackt, was dir gehört, und eine Woche später gemerkt, dass man so nicht leben kann, nicht einmal übergangsweise. Also hast du in den Kisten nach Versatzstücken der ehemaligen Einrichtung gegraben, pro forma Dinge hingestellt, die Normalität darstellen sollen. In dieser Skizze einer Wohnung machen wir es uns so gemütlich, dass man es gerade noch überleben kann. Aber du kannst uns nicht täuschen, jeder Blick ins Wohnzimmer ist wie ein Blick in deinen Seelenhaushalt, alles bloß noch pro forma da, nur noch Fassade, und eigentlich schon weg aus dieser Welt.
Und auch den Nachbarn täuschst du nicht, er tut, als sei er nicht bloß gekommen, um sich ein Bild zu machen und um einen Blick in die Wohnung zu werfen. Ich nicke ihm zu, er bedankt sich für die Milch und geht. Und ich bleibe zurück in diesem Chaos, das wir beide angerichtet haben. Jetzt leben wir, als seien wir gerade eingezogen, ich suche die Töpfe im Kistenmassiv, wühle nach dem Nötigsten, schaue mir die Wohnung an, die ehrlich aussieht. So wie du. So wie wir. Ich weiß den Zustand besser zu verbergen. Im Hauptort in der Bibliothek fragen sie mich nicht, warum ich noch einen weiteren Katastrophenfilm brauche, sie bieten mir kein Valium an. Keine Antidepressiva, die man dir doch jetzt bitte endlich verschreiben sollte, auch wenn du dich dagegen wehrst, auch wenn du sagst, dass es keine Depressionen sind, nur Panik vor dem Alleinsein, vor dem Verlorensein, vor dem Sein.
Du bettelst, du flehst, du willst wieder ein Paar sein, ein Teil von dem, was du und ich »du und ich« nannten, bevor wir auseinanderdrifteten, bevor wir es uns eingestanden. Das Häufchen, das von dir übrig geblieben ist, möchte wieder geliebt werden, möchte nicht allein sein auf der Welt, hat doch niemanden außer mir, will doch nur ein bisschen Geborgenheit, hat doch gar nichts falsch gemacht, kann doch nichts dafür, dass es so ist, wie es ist. »Habe ich alles kaputtgemacht?«, fragst du. Tag um Tag, ich drücke nicht einmal mehr auf Pause, Godzilla darf weiterwüten, während ich dir die immergleichen Antworten gebe. »Was hätte ich anders machen müssen?«, fragst du. Oder versprichst, ab jetzt ganz lieb zu sein, versprichst, mir irgendetwas zu kaufen, versprichst mir, jetzt alles so zu machen, wie ich immer wollte. Zusammen an einen anderen Ort, in die Stadt meinetwegen oder in ein anderes Dorf, dann halt wieder ganz von vorne anfangen, ganz ohne Freunde, meinetwegen. Ich solle einfach nur sagen, dass alles wieder gut werde, dass alles wieder werde wie davor. Davor war es nicht gut, sage ich, ein Kampfjet greift Godzilla an, bloß eine Fliege für das Riesenmonster, bloß ein weiterer Abend auf dem Sofa, wir überleben das, wir beide, Hauptsache, du wirst langsam müde vom Weinen und Flehen und Betteln. Vom Versprechen, dich zu ändern. Vom Fragen: »Bin ich denn so schlimm?« Vom Fragen: »Was habe ich denn jetzt noch? Was soll ich denn jetzt? Wäre es nicht einfach besser, wenn ich nicht mehr da wäre? Darf ich heute Nacht bei dir schlafen?«
Müde vom Leben, aber nie müde genug, um zu schlafen. Oder Angst davor, wieder aufzuwachen. Aus einem Traum, in dem du träumst, es sei, wie es
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