Land Spielen
sorglose Vergnügen zweier Menschen an einem unwesentlichen Wochentagsvormittag.
Christine sitzt wieder im Auto. Christine fährt zur Arbeit. Christine verrichtet ihren langen und leeren Tag.
Erst auf der Heimfahrt ist sie wieder da, diese Klarheit, so, wie die beiden da im Fenster, so möchte sie sein, so möchte sie leben und nicht so wie sie selbst. Und als sie nach Hause kommt, fallen die Sätze, die sie sich zurechtgelegt hat: »Gib doch zu, wir machen uns etwas vor. Wir wollen nicht dasselbe. Wir passen schon lange nicht mehr zusammen. Wir stehen uns doch bloß im Weg.«
Einen Abend lang sitzen sie am Küchentisch, Andreas hat Tränen in den Augen, Andreas fragt: »Warum?«, fragt, ob es wegen Moritz sei. »Nein, es hat nichts mit ihm zu tun.« Sie sehe einfach auf einmal klar. Sagt Christine. Und sie sehe, dass das hier alles keinen Sinn mehr ergebe. Und sie reden und Andreas fragt nach, bis Andreas ihr recht geben muss, bis Andreas gesteht, er habe selbst nie den Mut aufgebracht, es auszusprechen. Sie umarmen sich, sie setzen sich wieder, wieder Tränen, von beiden diesmal. Sie kauen alles nochmals durch. Andreas wiederholt seine Fragen. Christine wiederholt ihre Sätze. Sagt sie sich selbst, sagt sie ihm.
Am nächsten Tag hat sich nichts geändert. Andreas sagt, er willige in die Trennung ein. Christine sagt, sie müsse jetzt stark sein. Andreas sagt, er müsse jetzt zu seinen Schülern.
Er verlässt die Küche, geht nach unten.
Dann erst bricht Christine zusammen.
*
Und der Dorflehrer schickt die Dorfkinder Tag um Tag nach Hause. Und der Dorflehrer bleibt in der Dorflehrerwohnung. Der Dorflehrer wünscht sich die Sportferien herbei, damit er keine Ausreden mehr suchen muss. Und der Dorflehrer fleht seine Frau an. Der Dorflehrer redet auf seine Frischgetrennte ein. Der Dorflehrer spricht Beschwörungsformeln. Bleib am Leben. Bitte. Meine Schönste, meine Liebste. Meine ehemals Geliebte. Bleib am Leben. Leg die Messer weg, mit denen du dich versuchsweise schneidest, mal schauen, wie tief du kommst, ich will es nicht sehen, ich kann deine Wunden nicht mehr lecken. Bleib hier, wenn nicht in dieser Welt, so doch in einer anderen möglichen, ich weiß, du glaubst da nicht dran, nicht mehr, sagst du, zurzeit nicht, versuche ich zu sagen, während wir auf diesem Sofa sitzen,
Armageddon, The Day After Tomorrow, Godzilla, The Storm, Dante’s Peak
vor uns. All die Filme, die nicht von Liebe handeln, nicht vom Leben, nur von einer Gruppe Menschen, die sich sucht, die sich findet, die trotz der Katastrophe noch ein paar Bekannte unter den Trümmern hervorzieht, um wieder davonzuziehen. Die Welt können sie nicht mehr retten. Das ist das Einzige, was du jetzt verstehst, und auch ich, du und ich hier auf diesem Sofa, auf dem du und ich sitzen bleiben, obwohl ich längst hätte aufstehen sollen. Ich hätte sagen sollen: Nicht mit mir, such dir eine andere Schulter, an der du dich ausheulen kannst. Such dir einen anderen, der dir sagt, dass du dich nicht aufhängen sollst. Such dir jemanden, der dich ins Auto schleift und dir das Valium hinhält, der dich aus dem Zimmer schickt, weil wir doch gesagt haben getrennte Betten. Getrennte Leben, hattest du doch selbst gesagt. Hattest du selbst vorgeschlagen. Geweint habe ich einen halben Abend um uns, und einen halben Vormittag. Und dann musste gerettet werden. Sturzbäche von Tränen aufwischen, Messer aus Händen nehmen. Türen verschließen, damit du nicht draußen von den Felsen springst, statt Türen von außen hinter mir zuzuziehen, um zu sagen, dass ich jetzt wieder ein Einzelmensch bin. Statt bei fremden Menschen, genannt Freunde, auf Gästematratzen zu liegen, höre ich mir auf unserem Sofa deine Fragen an und beantworte sie alle gleich: beschwichtigend. Bleib am Leben. Bitte, bitte, bitte, tu dir nichts an. Tu mir das nicht an. Auch wenn du schon lange aufgegeben hast zu drohen. Du winselst nur noch, bettelst, bittest: Kann ich nicht nur diesen einen Abend nochmals bei dir im Bett schlafen habe ich alles kaputtgemacht wärst du nicht froh wenn ich weg wäre wäre es nicht eine Erleichterung. Ich möchte sie dir aus dem Mund schlagen, diese Worte, möchte wieder mein eigener Mensch sein, möchte dich nicht wie ein Kleinkind füttern und ausziehen und ins Bett bringen. Darf dir nicht sagen, dass du ein Kleinkind bist, darf dich bloß zur Arbeit schicken, ja, das schaffst du schon, aber bitte geh jetzt, geh jetzt hin, lass dich nicht so gehen, bitte behalt die
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