Land Spielen
Gebiet.
Vera findet die Idee idiotisch, sagt zur Begründung gewohnheitsgemäß wenig, denkt, dass Moritz wohl schnell einsehen wird, dass der Götzendiener nicht der richtige Verbündete für uns ist.
Auf dem Weg erklärt unser Erklärer den Unwissenden das Grundlegende: hinten hinsetzen, leise sein, so tun, als ob man mitsinge, nichts von dem, was gesagt wird, glauben.
Der Pfarrer trägt einen schwarzen, langen Rock, er zeigt sein Kostüm schon vor der Vorstellung, steht vor der Kirche, wir haben uns einen dramatischeren Auftritt vorgestellt. Er lacht, sagt: »Schön, dass ihr da seid!«
Wir sind enttäuscht von der Kirche, in unseren Bilderbüchern und in unserer Vorstellung war es gewaltiger hier drin, große Figuren standen herum, Engel schwebten in der Luft. Hier sind die Wände kahl, die Fenster kaum verziert, das einzig Bunte ist ein handgeknüpfter Wandteppich, ein pastellfarbener Baum ist zu sehen, keine Menschen, die an Kreuzen hängen, keine Heiligkeiten. Wir setzen uns in die letzte Reihe, die Kirche ist schlecht besucht, die Dorfbewohner gehen wohl lieber in den Hirschen, geben wohl lieber vor, auch am Sonntagmorgen Kühe melken zu müssen. Wir lassen uns von denen, die da sind, anschauen, lächeln freundlich in alle Richtungen. Ralf lächelt am breitesten und schaut, ob er Schulkameraden entdeckt. Viele hatten behauptet, immer hier hinzumüssen, nur wenige sind da.
Von der Predigt verstehen die meisten von uns wenig, diejenigen von uns, die viel verstehen, ärgern sich über Gesagtes. Es wird gesungen, das können wir, aber wir kennen die Lieder nicht. Dann wird gebetet, das können wir nachahmen, das sieht auch bei uns gut aus. Dann breitet der Pfarrer die Arme aus, als wolle er sich rücklings in den Schnee fallen lassen und einen Schneeengel machen, die Orgel orgelt, der Pfarrer geht durch den Mittelgang, er zwinkert uns zu, als er an unserer Bank vorbeigeht, der Gottesdienst ist vorbei, ist ohne größere Schäden und Epiphanien an uns vorübergegangen.
Wir bleiben noch ein wenig sitzen, schauen, wie die Dorfbewohner aufstehen, bei der Tür Rudolfs Hand schütteln, wir folgen ihnen nach, tun es ihnen gleich, bleiben ebenfalls auf der Kirchentreppe stehen. Eine alte Frau schaut uns an, als wolle sie sagen: Schön, dass ihr auch einmal vorbeikommt! Sie kommt auf uns zu und sagt: »Wird auch Zeit, dass Sie auch einmal vorbeikommen!« Wir lächeln sie an, sagen nichts. Heute ist Sonntag, wir haben noch nicht gefrühstückt, wir lassen uns ein andermal auf Diskussionen ein. Herr Rudolf kennt alle Dorfbewohnerinnen mit Vornamen, schüttelt Hände, kommt dann auf uns zu, fragt, ob es uns gefallen habe. Unser Sprecher sagt, er würde das Opium ja sonst von den Kindern fernhalten.
Die Kinder verstehen ihn nicht, nur der Pfarrer lacht. Er sagt, er müsse jetzt gleich los, im Nachbardorf werde schon der Gottesdienst eingeläutet, Moritz sagt, dass Rudolf jetzt dann mal zu uns kommen solle, wo wir jetzt doch schon bei ihm waren. Dieser schaut Vera an, sagt vorsichtig, ja, er könne ja Schnaps mitbringen, den bekomme er reichlich geschenkt. Klein und Groß freut sich auf den Schnaps, Klein fragt sich, ob der Pfarrer sein Kleid wohl anbehalten wird, wenn er kommt. »Wie wär’s mit nächstem Sonntag?«, fragt Moritz, Rudolf nickt bloß kurz und mehr zum Abschied, hebt den Talar mit der einen Hand an, als er die Treppe runtereilt, die andere Hand in der Luft, vielleicht, um uns zu winken, vielleicht, um das Gleichgewicht zu halten, vielleicht hält er auch bloß den Autoschlüssel. Ohne den Rocksaum loszulassen, schließt er sein schwarzes Auto auf, steigt ein, ordnet all den schwarzen Stoff, schlägt dann die Tür zu und braust davon.
*
Lasset den Pfarrer zu uns kommen. Auch wenn er krude Ansichten vertritt, auch wenn er Drogen ans Volk verteilt, auch wenn er zur Besinnungslosigkeit aufruft. Wir sind aufgeklärte Geister, brauchen keine Götter, die uns sagen, wo es langgeht und wann wir vom Weg abgekommen sind. Ein schlechtes Gewissen könnten wir uns allenfalls selbst herbeireden, wir sind auch ohne Bergpredigt hier an den Hang gezogen, um selig zu werden. Bei den zehn Geboten verzichten wir gerne auf die ersten vier, vergöttern den Försterjungen, zerkritzeln getäfelte Wände, schimpfen wie die Hiesigen und am Sonntag arbeiten wir, wie auch der Pfarrer, der seine Dörfertour, seine Tour de Force, seine Bekehrerrunde absolvieren muss. Wir mussten heute schon Tiere füttern, mussten das Wohnzimmer
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