Land Spielen
aufräumen, müssen in der Küche stehen für die Speisung der sechs, denn heute kommt der Pfarrer zu Besuch.
Vera kennt ihn am besten, findet die Besuchsidee am schlechtesten von allen, wohl weil sie den Pfarrer lieber allein trifft, im Altersheimgärtchen, wo man stehen bleibt oder freundlich schweigend eine heimliche Zigarette teilt. Oder weil sie ihn lieber nicht mehr trifft, seit jenem Kuss ebenda. Vielleicht kennt sie aber auch bloß die Ansichten des hauseigenen Predigers zu gut.
Dieser holt in den oberen Räumen einen Stuhl, freut sich auf den Gast, endlich einer, mit dem man reden kann, denkt er, einer, der einem rhetorisch das Wasser reichen kann, auch wenn es eventuell Weihwasser ist. Moritz stellt Stuhl Nummer sechs an den Wohnzimmertisch, merkt, dass er Gespräche mit seinesgleichen vermisst, dass er schon lange nicht mehr geredet hat über Politik, über Philosophie, über schlechte Professoren. Stattdessen sind die Themen gewöhnlich alltäglich, sind landspezifisch, kindergerecht oder bestanden aus Dorflehrersfrauensorgen. Oder aus Streitereien mit der Ehefrau, der er nicht sagen konnte, dass Gebot Nummer sieben immer noch galt, weil er ihr nicht sagen kann, dass es je in Gefahr war. Auch der Dorflehrer kommt deswegen nicht mehr als Verbündeter infrage, außerdem kann man sich sowieso nicht allzu lange mit ihm unterhalten, zu schnell gehen einem die Fragen aus oder ihm die Antworten.
Moritz hätte gerne noch kurz ein paar Kapitel aus dem Kapital gelesen, um sich aufzuwärmen, er freut sich auf das Rededuell mit gleich langen Spießen, beide Kontrahenten kämpfen für einen Mann mit weißem Bart.
Fabian weiß jetzt schon, dass es ein langweiliger Abend wird, weil man wieder die wichtigen Sachen nicht fragen darf: Wird dem Gott das Allein-im-Himmel-Herumsitzen nicht öde, wieso hört man die Glocke der Nachbardorfkirche immer eine Minute vor unserer schlagen, wie viel PS hat das Dorfpfarrerauto? Fabian wirft den Schafen ihr Abendmahl vor die Füße, es ist wie immer Heu, Fabian trödelt wie immer, er greift ins dicke Fell des Leitschafs, freut sich, wenn endlich geschoren wird.
Ralf muss unterdessen Karotten schälen. Auch Ralf erwartet den Pfarrer mit Skepsis. Ralf kennt sich aus mit Superhelden, auch wenn diese selten von ihren Vätern auf Selbstmordmissionen geschickt werden. Die meisten werden von Spinnen gebissen, um die Welt zu retten, Nuklearversuche gehen schief. Statt damit zu missionieren, schlagen sich die Helden im Alltag unerkannt mit Alltag herum, sind klein, sind unwichtig, kommen erst nachts in Fahrt, retten die Welt schlagkräftig vor Bösewichten, schlafen also selten. Sie retten die Welt, aber der Dank dafür bleibt meist aus. Beim Superhelden des Pfarrers scheint es umgekehrt: Alle danken dem für seine Güte, aber die Welt scheint sich nicht zu verändern. Und vor allem: Auf Privatgottesdienste verzichten die Dorfbewohner, weshalb auch Ralf lieber in der Fünferrunde bliebe.
Und Ada, die ebenfalls in der Küche hilft, die den schlechten Schäler erwischt hat und deswegen bloß Muster in die Karotte schnitzt, bis Ralf sie ihr schimpfend wegnimmt, Ada, die kleine Ada, die ebenfalls auf den sechsten Stuhl verzichten könnte, der Försterjunge bleibt ja doch nie zum Abendessen, denkt, dass doch das Gebot gelten sollte, wonach wir wir sind und wir bleiben wollen, was braucht es da Gäste, bis jetzt haben diese bloß Streit gebracht. An Streit denkt Ada nicht gerne, lieber denkt sie an den Försterjungen, der viel zu selten bei uns ist und sie, wenn er da ist, dann doch ignoriert, der schöne Försterjunge, wie er sie aus dem Weg schiebt, wenn er mit Ralf Comics lesen geht, die Hand des Försterjungen, die sie aus dem Weg schiebt, die Geräusche aus Ralfs Zimmer, die wohl nicht bei jedem Besuch vom Lesen kommen können, der Försterjunge, der … »Ada, jetzt gib die Karotte her!« »Au, hau mich nicht.« »Kinder, jetzt hört auf zu streiten.« »Wir haben noch gar nicht angefangen.« »Geht Händewaschen, gleich kommt der Besuch.« »Aber wir wollen helfen.« »Du kannst gerne den Salat waschen.« »Dann geh ich lieber lesen.«
Dann kommt der Dorfpfarrer. Moritz reiht sich vorne ins Empfangskomitee ein, klopft auf die Dorfpfarrerschulter und macht ein großes Hallo. Ralf benimmt sich artig, setzt an zu »Guten Tag, Herr Pfa…«, er wird lachend unterbrochen: »Ach, der Herr ist im Himmel, ich heiße Rudolf.« Der Pfarrer macht ein schelmisches Gesicht dazu, man weiß nicht, ob
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