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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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Geldscheine, die nur nach ihm riefen oder heimlich zögernd vielleicht auch nach Claire, richteten wieder auf. Es war, wie in einer Kriminalkomödie zu stecken, eine bestimmte Rolle zu spielen: die des düpierten Naiven, eine in Zukunft ausbaubare Rolle. Was er fand und was er verloren geben mußte, brachte er in ein Gleichgewicht. Wie ein Schlittschuhläufer auf dem Trockenen fühlte er sich manchmal, Schnelligkeit, Eleganz, die Kurve kriegen, all das spielte keine Rolle mehr. Das Spitze, das Floretthafte des Zivilrechts, das er liebte, war weit weg, ins Unerreichbare gerückt, gerutscht, und die scharfen Kufen waren nutzlos, hinderlich auf dem Terrain, auf dem er sich bewegen mußte, torkelnd, unsicher, am falschen Ort, zur falschen Zeit. Manches blieb auch. Die moderne Wohnung in der Cicerostraße wurde voller, Erinnerungsstücke, Alben, Bücher und ein Teppich, auf dem Kornitzer als Kind gespielt hatte, dessen Rankenmuster er bäuchlings liegend entlanggereist war, sah seltsam fremd unter den Stahlrohrsesseln aus. Aber dann krochen Selma und Georg darauf herum.
    Am 6. April 1938 kam die Verordnung heraus, daß Juden Vermögen über 5.000 Reichsmark anmelden mußten. Der Beauftragte für den Vierjahresplan konnte Maßnahmen ergreifen, so hieß es, um den Einsatz des anmeldepflichtigen Vermögens im Interesse der deutschen Wirtschaft sicherzustellen. Jüdisches Eigentum entsprach nicht den Interessen der deutschen Wirtschaft. Das frische Erbe der Mutter mußte gemeldet werden, und Kornitzer zitterte, daß man es ihm vor den Augen konfiszieren würde. Und da er der einzige Erbe war, gab es keine Möglichkeit, etwas zu verstecken oder umzuwidmen. Er tat dann etwas Leichtfertiges, was sonst nicht seine Art war. Ein mit sechs kleinen Saphiren besetztes Armband seiner Mutter, das sie im Alter nicht mehr getragen hatte, brachte er zu einem Goldschmied, mit Bedacht hatte er sich ein jüdisches Juweliergeschäft ausgesucht, ein Geschäft, das geächtet war, mit einer auf die Mauer geschmierten Aufforderung,
nicht bei Juden zu kaufen
, und bat den Goldschmied, es für Claire umzuarbeiten, weniger Schnörkel, mehr Aufmerksamkeit für die Steine im Facettschliff. Der Goldschmied tat das, rührig, schnell und gut zu einem akzeptablen Preis, und fragte doch ein bißchen, warum ein so schönes Stück umgearbeitet werden solle. (Warum er in seinem darbenden Laden diesen verhältnismäßig großen Auftrag erhielt, fragte er nicht.) Kornitzer sagte: Meine Mutter und meine Frau hatten keinen übermäßig guten Kontakt zueinander (das war – gelinde gesagt – untertrieben), und das soll sich auch in meinem Geschenk an meine Frau nach dem Tod der Mutter widerspiegeln. Der Goldschmied verstand sofort, und er verstand auch, daß er möglichst schnell arbeiten solle. Was noch geschehen würde, was nicht mehr möglich wäre und was verboten, wußte niemand. Und als Kornitzer den Schmuck an einem Abend beiläufig auf den Tisch neben die Serviette legte, konnte er nicht erkennen, ob Claire wegen des unerwarteten Luxus erstarrte oder ob sie sprachlos vor Freude war.
    Weil du so viel Kummer mit mir hast, sagt er beiläufig. Die Saphire leuchten tiefblau, und Claires Augen glitzern smaragdgrün. Du hättest kein Geld für mich ausgeben sollen. Wir brauchen es an anderen Stellen, sagt sie schließlich. Wir brauchen etwas, was wir nicht brauchen, antwortet Kornitzer spontan, und er wundert sich selbst über seine Antwort, die so gar nicht zu planen und auszudenken gewesen ist. Und er macht Claire noch ein zweites Geschenk. Er sagt ihr, nicht an diesem Abend, an dem sie sich über das Armband freuen soll und es schließlich auch tut, sondern an einem anderen Abend, vielleicht eine Woche später, er wolle zum Protestantismus übertreten. Das Begräbnis, nicht der Tod seiner Mutter, habe ihm klar gemacht, daß ihn nichts mehr an sein Judentum binde. Wenn er ein literarischer Leser wäre, aber das ist er ja nicht, hätte er sich an eine Stelle bei Lytton Strachey erinnert. Als dieser über den Kardinal Manning schrieb, dessen Bekehrung zum römisch-katholischen Glauben das viktorianische England in den Grundfesten erschütterte, erwähnte er dabei auch zwei Zeitgenossen, die im Verlauf der Ereignisse ebenfalls ihren Glauben verloren hatten, jedoch mit dem Unterschied, daß der eine den Verlust wie den eines schweren Koffers spürte, von dem man im nachhinein feststellt, daß er nur mit alten Lumpen gefüllt war, während der andere ein solches

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