Landgericht
im April 1941 war vor dem deutschen Konsulat schon eine kleine Bombe explodiert. Die Täter pinselten GUERRA AL FASCISMO an die Wand (das hatte schon im spanischen Bürgerkrieg an vielen Mauern gestanden), hinterließen ein Plakat mit der Aufschrift
Gegen den Faschismus gegen den Nazismus
und Visitenkarten mit dem Aufdruck
Acción revolucionaria
. Es war nur ein geringer Sachschaden, aber die Nerven der Botschaftsangehörigen lagen blank. Es war eine kleine Botschaft, bestehend aus dem Gesandten, dem Kanzler, einem Konsulatssekretär und vier Sacharbeitern, „Hilfsarbeitern“ in der Diktion der Zeit, von denen niemand wußte, ob sie nicht auch Spione oder Agentenführer waren. Um so enger war man aufeinander angewiesen, um so dringlicher war die Fürsorgepflicht des Gesandten für die kleine, sich heroisch dünkende Mannschaft.
Am 22. Juni überfällt Deutschland die Sowjetunion und bricht den Hitler-Stalin-Pakt. Die Flüchtlinge in Havanna sind entsetzt, sie stecken die Köpfe zusammen, die kubanischen Gewerkschafter, mit denen sich Lamm und Goldenberg befreundet haben, empören sich, jetzt verstehen sie die deutschen Antifaschisten besser: Sie kommen aus einem gefährlichen Land, sie sind Verbrechern und Welteroberern entronnen. Im August 1941 findet in Havanna ein Gerichtsverfahren gegen sieben in Untersuchungshaft befindliche Reichsdeutsche statt. Sie werden der Mitgliedschaft in einer totalitär eingestellten antisemitischen Zweigorganisation des deutschamerikanischen Bundes, der in Kuba Propaganda für den Umsturz des Regierungssystems macht, angeklagt. Goldenberg geht zu dem Prozeß, hört sich die jämmerlichen Verteidigungsreden an, Kornitzer will nicht hingehen, er möchte solche Visagen, ja, so drückt er sich Goldenberg gegenüber aus, gar nicht sehen. Am 1. September kabelt der Botschafter Tauchnitz nach Berlin:
Verurteilte mit Negern und sonstigen Verbrechern inhaftiert. Versuche, unter der Hand Erleichterung zu verschaffen. Nur Gnadenakt Staatspräsident kann ihnen helfen
. Der Gnadenakt bleibt verständlicherweise aus. Und gleichzeitig meldet die Botschaft Überwachungsmaßnahmen nach Berlin,
gewollte auffällige Einschaltung in Telefongespräche in Form absichtlicher Geräusche, zum Beispiel Husten
. Im August 1941 werden alle deutschen Konsulate in Kuba geschlossen. Der Vorwurf lautet, sie betrieben Spionage. Konsularische Angelegenheiten sind nun ausschließlich in der Gesandtschaft Havanna zu regeln. Das ist etwas unbequem für die Plantagenbesitzer, ihre Verwalter, die Siedler und Firmenvertreter.
Die Flüchtlinge saßen in Máximos Hof, lasen Zeitungen, ein ambulanter Kaffeeverkäufer kam vorbei, er trug eine riesige Thermoskanne, mit zwei Fingern öffnete er seine Jackentasche einen Spalt breit, darin leuchteten die Zuckerwürfel. Aber jetzt wollte niemand Kaffee trinken, alle waren aufgeregt genug, diskutierten den Kriegsverlauf, das Vordringen der Deutschen in der Sowjetunion. Immer noch kamen neue Flüchtlinge aus Europa, brachten Schreckensnachrichten mit. Boris Goldenberg sagte: Die Amerikaner müssen in den Krieg eintreten. Ja, antwortete Kornitzer, aber wie? Gut an Máximos Hotel war, daß man zusammenblieb, daß man die Weltpolitik und die niederträchtigen Schikanen der kubanischen Behörden durchhecheln konnte. Gut war es, mit Boris Goldenberg, Emma Kann, Fritz Lamm und Lisa und Hans Fittko zusammenzusein. Es milderte den scharfen Schmerz der Einsamkeit.
Und dann zerstören die Japaner amerikanische Kriegsschiffe in Pearl Harbor, Amerika wird eine Kriegsmacht und Kuba schließt sich den Vereinigten Staaten an; es ist eine einstimmige Entscheidung für den Kriegseintritt am 14. 12. 1941 im Kongreß. Die Deutsche Botschaft wird geschlossen. Alle nichtjüdischen Deutschen werden zu feindlichen Ausländern erklärt, verhaftet und auf die Isla de Pinos, südlich von Kuba verfrachtet. Die Botschaftsangehörigen mit ihren Familien dagegen haben es besser, sie werden wie viele deutsche Diplomaten aus den USA, aus Mittel- und Südamerika bis zum 5. 6. 1942 in White Spring/West Virginia interniert und dann gegen amerikanische Diplomaten ausgetauscht.
Die Polizei kommt auch in Máximos Hotel und fragt nach dem Deutschen Hans Fittko. Máximo versteht sich gut mit den Polizisten, und niemand weiß, warum. Er schwört bei dem Leben seiner Mutter, daß Hans Fittko Jude sei, man sehe es doch, und was da in seinen Papieren stehe, sei eben ein Irrtum.
Ich weiß, wer is a Jid. Sé quién es
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