Landgericht
jüdische Juweliere sich in Antwerpen angesiedelt hatten, ist Antwerpen eine Diamantenstadt. Antwerpen, so munkelte man auch in Havanna, war der ideale Ort, um Juwelen und Schmuck gegen Schiffspassagen einzutauschen, immer noch, so schien es. Oder das Geschick des Handels hatte sich mit den Kriegsereignissen weiter nach Süden verschoben. Also staunte man die Antwerpener an, unter denen viele orthodoxe Juden waren, staunte sie an wegen ihrer vermeintlichen Gerissenheit, ihrer Tollkühnheit unter dem wärmenden (überhitzten?) Deckmantel ihrer Frömmigkeit. Sie hatten ihr Handwerkszeug mitgebracht und importierten Schneide- und Poliermaschinen aus Brasilien. Aber wo kamen die Diamanten her?
Selma berichtete später in Mainz ihrem Vater, ein älteres Kindertransport-Mädchen habe in seiner Kleidung eingenähte Steine aus dem Schmuck seiner Mutter mit nach England gebracht. Die Kinder seien bei der Zollabfertigung in England eindringlich befragt worden, ob sie Wertgegenstände mitbrächten. Und dieses Mädchen, in Konflikt mit den Wünschen der Mutter, habe seinen Saum aufgetrennt und die Schmuckstücke abgeliefert. Später sprach sie mit ihrer Pflegemutter über den Verlust, und die Pflegemutter erriet den Konflikt zwischen dem mütterlichen Auftrag und dem kindlichen Gehorsam und sagte ihr, sie habe ganz richtig gehandelt. Wie dieses Mädchen hatten vermutlich die Antwerpener Juden eingenähte Diamanten mitgebracht. Die Flüchtlinge schafften es, auch in Havanna eine Diamantenverarbeitung einzurichten. Arbeitsplätze waren da, eine staatliche Unterstützung, ja, plötzlich war das Arbeitsverbot für Emigranten aufgehoben, sang- und klanglos. Hatten die Emigranten der Jahre 1938 und 1939 zur bitteren Kenntnis nehmen müssen, daß ihnen die Arbeitsaufnahme verwehrt war, und hatten sie nur mit allerlei Tricks Arbeit bekommen und immer Angst gehabt, sie flögen auf, würden des Landes verwiesen oder bestraft, so gab es nun legale, peinlich saubere Arbeitsplätze im Stadtteil El Cerro, die keinem Kubaner etwas wegnahmen. Sie waren wirklich neu geschaffen worden, und die Antwerpener ließen durchblicken, Kubaner, leidenschaftlich, emotional, wild gestikulierend und aufs große Ganze, nicht auf ein Detail konzentriert, wären für die Arbeit an den Diamanten weniger geeignet als Europäer. Das klang ein bißchen rassistisch und war es wohl auch. Aber die Antwerpener hatten Energie oder Überzeugungskraft. Oder ein paar Steinchen vorab, die den Besitzer wechselten, machten die kubanischen Aufsichtsbehörden gefügig. Das wußte niemand so genau, und man wollte es auch nicht wissen. Aber darauf achteten die Antwerpener Fachleute: Schleifteller, Schleifsteine, surrende Maschinen, Werkzeuge zum Drehen und Fräsen, man mußte eine göttliche Geduld mitbringen, gute Augen und eine ruhige Hand. Die
Saegers
verdienten 40 Cent pro Stein und bearbeiteten an die hundert Steine pro Tag. Das waren gute Löhne. Frauen arbeiten meistens als
Schneiders
, die nur 15 Cent pro Stein verdienten. Bei den
Schleifers
gab es verschiedene Kategorien von Arbeitern, je nach der Schwierigkeit des Schliffs. Eineinhalb bis zwei Tage arbeitete ein guter Schleifer an einem Stein, den er durch die Lupe in zehnfacher Vergrößerung sah, und wehe, er verkratzte ihn, dann wurden die frommen Antwerpener heftig und schrien die ganze Manufaktur zusammen. Für den Feinschliff, das predigten die Erfahrenen, sei der einzelne Mensch ganz und gar unverzichtbar. Das tat den Entrechteten, ihrer Würde Beraubten gut. Und so schnitten, sägten, schliffen und polierten sie die Steine, deren Herkunft und deren Zukunft ihnen vollkommen unbekannt waren.
Richard Kornitzer kam als Diamantenschleifer nicht in Frage, er war ein Brillenträger und schon zu alt. Hans Fittko wurde Diamantenschleifer und war nicht unzufrieden mit dem neuen Beruf. Das Schleifen, die Präzision des Vorgangs, half gegen das Grübeln, die Zukunftsangst, zügelte den Zorn. Auch Fritz Lamm lernte das Schleifen von Diamanten, stieg aber rasch zum Sekretär der Gewerkschaft der ausländischen Diamantenschleifer auf, die Aufgabe lag ihm. Lamm schrieb und sprach gut Spanisch, er arbeitete auch nebenbei für eine Zeitung und hatte die Vorstellung, man müsse beim Schreiben eine Person oder ein Objekt aus sich selbst heraus analysieren, sie oder es sägen, schneiden, schleifen, er mahnte an, mit dem eigenen Verstand den Diamanten der Person herauszuarbeiten. So sprach nur jemand, der vom Diamantenschleifen
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