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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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eine Ahnung hatte, eine winzige Anschauung jedenfalls, über die Schulter seines Freundes Hans hinweg. Gemeinsam gründeten sie eine Zeitschrift:
Unterwegs. Zeitschrift der Jüdischen Emigration in Kuba
, die es auf 49 Ausgaben brachte.
    Erfahrene Schleifer lernten neue Schleifer an. Die Lingua franca der Diamantenschleiferei war das Jiddische. Jiddisch hieß in Kuba
el idioma polaco
, was die Sache nicht ganz traf, aber auch eine gewisse Abfälligkeit ausdrücken sollte. Wohin die Diamanten geliefert wurden, bekam Kornitzer nicht wirklich heraus. Hans Fittko sprach von Industriediamanten, die in Maschinen eingebaut werden, andere sprachen von Juwelieren, die die Diamanten abholen ließen durch unauffällige Kuriere und selbst in nebulöser Ferne blieben. Phantom-Juweliere, sie zahlten aber ordentliche Preise, und so war es nicht ratsam, allzu viel nachzuforschen.
    Bei den Gewerkschaftsversammlungen der Diamantenarbeiter, die dem Gewerbe entsprechend mit einem gewissen Pomp und mit rhetorischem Brimborium zelebriert wurden, bestanden die ehemaligen Antwerpener darauf, Jiddisch zu sprechen, das war skurril, zeugte aber auch von ihrem enormen Selbstgefühl. Man mußte sie mühsam übersetzen. Die kubanischen Arbeiter fanden das blödsinnig, warum lernten sie nicht Spanisch? Und auch Hans, der das Jiddische einigermaßen verfolgen konnte (aber nicht übersetzen), wurde gefragt: Warum lehren sie uns das Diamantenschleifen, aber warum wollen sie keine Weltsprache lernen? Darauf wußte Hans Fittko auch nichts zu sagen, außer daß seine Emigration ihn Toleranz und eine gewisse Wurschtigkeit gelehrt hatte. Das mußte auch den kubanischen Arbeitern zu denken geben. Denn von ihnen wurde auch viel verlangt, aber sie hatten noch nie das Land, die Sprache gewechselt. Ihre Väter, ihre Mütter, ihre Vorväter und Vormütter vielleicht, von denen sie kein einziges Zeugnis besaßen, nur die Schattierung ihrer Haut und den Klang ihres Namens. Kornitzer mochte den engen, physischen Zusammenhang der Diamantenschleifer, ihr Arbeitsethos der Präzision, während im Juristischen vieles verschwamm, verborgen wurde hinter schönen Worten, Floskeln, die wie Eier in einen Korb gelegt wurden, doch alles kam darauf an, sie nicht zu zerbrechen, den Duktus des Rhetorischen nicht zu stören durch Ungeschick. Ein Manöver der Intelligenz und der Anpassungsbereitschaft, Kornitzer strengten solche Aktionen furchtbar an. Jede Höflichkeit, die man sich ausdachte, konnte als zu geringwertig empfunden werden, eine andere Höflichkeit, die auf dem Reißbrett entworfen worden war, konnte als ranschmeißerisch, zu idiomatisch aufgeklaubt empfunden werden, während der wirkliche Status des Sprechenden, Schreibenden noch der eines Ratsuchenden, eines Bittstellers hätte sein sollen. Alles war ein Tasten, ein Tappen im Dunklen, ein Blinzeln im doch wirklich gleißenden Licht, das der entworfene Text nicht spiegelte.
    Kornitzer wohnte jetzt wie eine ganze Reihe Emigranten in Máximos Hotel. Máximo, wie er seinen in Kuba unaussprechlichen polnischen Namen Moishe ins Spanische übertragen hatte, war ein kleinwüchsiger polnischer Jude mit einem grauen, zerzausten Bart. (Später ähnelte der Bart von Fidel Castro auf verblüffende Weise dem Bart des Hotelbesitzers, nur im Wesen war Castro ganz anders als der gutmütige Máximo.) Máximo war wie viele Juden in der Stadt den polnischen Pogromen entkommen, darüber zu sprechen, gab es in Havanna keinen Anlaß, aber die Deutschen, die später kamen, ahnten, warum Máximo so dünn und so energisch war, warum seine Stimme manchmal zitterte oder umkippte, sie rochen die Angst, die er als junger Mensch in Lublin (oder war es in Lemberg?) empfunden hatte. Sie rochen die Angst, aber für die Angst der Deutschen 1938 und für die so viel ältere Angst in Polen hatten sie keine gemeinsame Sprache, die Witterung reichte aus. Und das Schimpfwort
polaco
, auf das die neuen deutschen Emigranten am Anfang empört reagiert hatten, war in Wirklichkeit gar kein Schimpfwort, sondern eine Klassifizierung für die weißen Europäer, die ohne Geldmittel nach Kuba gekommen waren, Aschkenasim. Ob sie wirklich Polnisch sprachen, Jiddisch oder Deutsch, dafür drehten die Kubaner die Hand nicht um. Doch, es gab auch andere Juden, die sich ungleich leichter taten, es waren sephardische Juden, deren Sprache das Ladino war, das anderswo Spaniolisch genannt wurde, eine Mischung aus Renaissance-Spanisch, Arabisch und Türkisch, geschrieben in

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