Landgericht
Nahmen sie Patente mit, an denen sie einen Anteil hatten oder von denen sie behaupteten, einen Anteil zu haben? Das war nicht voraussehbar, sagte der Patentanwalt seiner tüchtigen Mitarbeiterin. Also war auch die Niederlage nicht voraussehbar für den Patentanwalt. (Oder undenkbar? Nicht vorstellbar?) Die Technik siegte, die Niederlage war nicht voraussehbar, auch nicht vorstellbar, nicht die vollständige Kapitulation des Luftfahrtwesens, des Maschinenwesens, des Motorwesens, des ganzen menschlichen deutschen Wesens mitsamt seiner Erfindungskraft, seinen Tüftlern und Bastlern. Die deutsche Waffenindustrie mitsamt ihren Erfindungen hatte sich als zerbrechlich erwiesen, sie lag am Boden, und dort sollte sie nach dem Willen der Alliierten bleiben, zertrümmert, abgeräumt. Die Schloßkirche bekam erst 1947/48 mit Schweizer Hilfe ein Notdach, die Schweizer schickten Handwerker, die Handwerker brachten Schokolade für die Kinder mit, das Hämmern und Klopfen war am Seeufer zu hören.
Der Nachkrieg und die Währungsreform hatten auch die Anwaltskanzlei in Turbulenzen gebracht, man dankte Claire Kornitzer, man verwies sie darauf, daß sie als „Evakuierte“ bald die strukturlos gewordene Gegend verlassen würde und mit ihrer Qualifikation (für die hier leider keine Verwendung bestünde) sicher in einer größeren Stadt mehr Glück hätte. Man gab ihr ein brillantes Zeugnis, für das sie eines ihrer guten Farbbänder der Schreibmaschine zur Verfügung stellte, und das war’s. Es drängten junge Frauen, die noch keine Ausbildung hatten, die auch auf den übriggebliebenen Schreibmaschinen gymnastische Übungen machen wollten, es drängte eine Normalität. Für eine Berliner Geschäftsführerin einer GmbH, die abgehalftert worden war aus Gründen, die zehn Jahre später nicht mehr begriffen wurden, war zum zweiten Mal kein Platz. Claire Kornitzer ging stempeln, dann schlüpfte sie in der Verwaltung einer Molkerei unter, zählte die Milchkannen und schrieb Rechnungen und Berichte. Claire Kornitzer, ungebunden, hungrig, ohne Familie (aber mit Sorgen um ihre zerstreute Familie) war eine Belastung, eine Last, die abgeworfen wurde, aus betriebsinternen Gründen, aus nachkriegsbedingten Gründen, wie sie vorher aus Gründen, die die nationalsozialistische Gesetzgebung vorgab, aus ihrem Beruf gedrängt worden war. Ein Ehepartner, der ein Klotz am Bein war. Eine Ehefrau, die sich weigerte, die Scheidung gegen den jüdischen Partner einzureichen, war verloren. Sie war mehrmals zur Gestapo vorgeladen worden und hatte unterschreiben müssen, nichts über diese Vorladungen, die Erschütterungen ihres bürgerlichen Lebens waren, weiterzugeben. Also war sie nicht zur Gestapo vorgeladen worden, also war sie nicht mißhandelt worden, zum Schweigen verdonnert. Also hatte sie das alles nur geträumt, und jede Aussage, jedes Flüstern, jede Äußerung gegenüber einem vertrauten Menschen, der sich dann doch nicht als so vertraut herausstellte, hätte weitere Einschüchterungen zur Folge gehabt, das hatte sie begriffen, das hatten sie einige Männer in einem Büro gelehrt, in dem sie lange warten mußte, bis es Nacht geworden war, bis das Haus nicht mehr vor Schreien und Brüllen und Türenschlagen vibrierte. (Und sie verstand diese Lehre nur so ungefähr, eher mit den Nerven, mit den empfindlichen Fingerspitzen als mit dem Verstand.) Was folgte, auch ohne ihr Verstehen, und besonders ohne ihre Einwilligung: Sie hatte nicht nur nichts zu sagen, sie hatte einzupacken und ihren Mann besser gleich als später aus der Schußlinie zu ziehen, so einfach war das.
Was aber feststand, waren ein paar Daten, Fakten: Das 1. Juristische Staatsexamen von Richard Kornitzer war vollbefriedigend. 1926 promovierte er zum Dr. jur., da ist er gerade mal 23 Jahre alt. Das 2. Juristische Staatsexamen legt er mit „gut“ ab. Das waren hervorragende Noten, ein schneller Student, ein Überflieger, entschlossen, seinen Weg zu gehen. Warum es Einser-Philosophen gibt und Einser-Volkswirte, aber die Noten der Juristen tiefer liegen, weiß kein Mensch zu sagen. Vielleicht um die jungen Juristen nicht zu verwöhnen, während der junge Philosoph weiß, daß auf ihn nicht die geringste Verwöhnung wartet, sondern die rauhe Gewißheit, daß niemand ihn braucht. Hervorragende Juristen werden gebraucht.
Ich halte Herrn Dr. Kornitzer zur bevorzugten Beförderung und Anstellung für besonders geeignet
, hatte ihm der Landgerichtsdirektor am 15. Januar 1932 in seiner
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