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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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Begutachtung bescheinigt und weiter geschrieben:
„Herr Dr. Kornitzer verfügt über eine scharfe Auffassungsgabe, guten Tatsachensinn, geschultes logisches Denken, die Fähigkeit knapper Darstellung und die seltene Gabe, auch verwickelte Sachverhalte klar aufzufassen und prägnant darzustellen. Er hat gründliche Rechtskenntnisse und besonders gute juristische Schulung. Insbesondere hat er sich auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes ausgezeichnet eingearbeitet. Dementsprechend stehen seine Leistungen weit über dem Durchschnitt und sind durchweg gut gewesen. Bes. Hervorhebung bedürfen seine nach Aufbau, Durchdringung, Klarheit und Kürze gleich ausgezeichneten Urteile. Er hat pünktlich gearbeitet. Seine Führung war gut. Auch sein Gesundheitszustand scheint gut zu sein.“
Das war ein Zeugnis zum Hinter-den-Spiegel-Stecken, ein Zeugnis, das zu allen möglichen Hoffnungen berechtigte.
    Aber die Hoffnungen waren getäuscht worden. Eine Benachrichtigung, die nur vier Zeilen hatte, ließ ihn im Boden versinken.
Der Gerichtsassessor Dr. Richard Kornitzer in Berlin wird auf Grund des § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 (RgBl.I S.175) in den Ruhestand versetzt.
    Berlin, den 20. Juli 1933
.
    Der Justizminister (Siegel des Preuss. Just. Min.)
     
in Vertretung gez. Dr. Freisler
    Immer wieder hatte Kornitzer auf das Dokument gestarrt, jeden Satz, jedes Wort, jedes Zeichen hatte er genau studiert, als könnte er in ihm doch noch einen anderen Sinn finden als den offenkundigen der Erniedrigung, der Verstörung. Aus der Traum, aus der Traum, eine Richterlaufbahn war vernichtet. Und er warf sich auch vor, während er sich über seine neue aufregende Tätigkeit am Landgericht gebeugt hatte, sich nicht genügend um die Veränderung der politischen Verhältnisse gesorgt, gekümmert zu haben. Er würde das tun, sagte er sich damals, wenn er vom Referendar zum Assessor, vom Assessor zum Landgerichtsrat befördert worden wäre, also bald, also dann in einer gesicherten Position. Georg, sein kleiner Sohn, lernte laufen, hielt sich an allen möglichen Beinen, den Tischbeinen, den Stuhlbeinen, den väterlichen Beinen fest, wollte seinen kleinen Singsang-Wortschatz erproben, die Zweisilbigkeit, die Zweiwörterhaftigkeit seiner Welt, lauter schöne Luftblasen, die das Kind fliegen ließ, und Claire war sehr beschäftigt mit dem, was Kornitzer das „Universale“ nannte. Und er, das warf er sich übermäßig vor, hatte sich, wenn er das Landgericht hinter sich ließ, in den Luftraum geschmiegt, der zwischen der Tätigkeit der Frau und den Forderungen, die der kleine Junge an ihn stellte, blieb; nebenbei bemerkt, es waren nicht übermäßig viele. Ein Zuhören, ein Händchenhalten, ein Klötzchen-Aufheben, eine beruhigende väterliche Stimme und eine Hand auf einem Körperchen, das Bauchweh hatte. Alles bewegende Zeichen und Symptome, die ihn manche Nachricht in den Zeitungen überlesen oder nur schulterzuckend zur Kenntnis nehmen ließen. Bis es geschah – er hatte Urteile geschrieben und sich kein Urteil über die neue Regierung gebildet. Der Boden war ihm unter den Füßen weggezogen worden, er fürchtete, auch seine Frau, sein kleiner Sohn würden mit in den Abgrund, der sich vor ihm auftat, gerissen. Und es gab keinen Zeugen, keine Kontakte zu den früheren Kollegen, es gab ein großes, grenzenloses Schweigen, das ihn einhüllte in einer furchtbaren Bitternis. Erst jetzt begriff er, er war der einzige Jude unter den Kollegen am Landgericht gewesen, er hatte keine Solidarität, keinen Rat von niemandem zu erwarten. Und nicht einmal als ein richtiger Jude fühlte er sich, er war Jude von Hitlers Gnaden gewesen.
    Kornitzer war in der milden Frühlingsluft angekommen, untergekrochen bei seiner Frau, auf einem Bauernhof, umgeben von Wiesen. Das neugeborene Kalb mit stöckerigen Beinen lief auf das Muttertier zu, blökte herrisch und kindisch zugleich. Ein Bauernhof, der keine Stallwärme bot, weder für seine Frau noch für ihn, den Zugezogenen, den huckepack Genommenen, er war zu städtisch, er sprach zu Hochdeutsch, das war störend. Es war ihm unmöglich, sich als Teil einer großen (kollektiven) Erzählung zu begreifen. Spätabends, wenn das Bauernhaus schlief, die Tiere malmten, benutzte er Claires Schreibmaschine, tacktacktack oder tacktack, tacktacktack, Pause, tack – und tippte unverdrossen; diesmal an den Herrn Kreispräsidenten. Der Kreispräsident war eine Art Brückenkopf,

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