Landgericht
Berliner Arbeiterviertel zu bombardieren, schien sehr viel schwieriger, die Bauqualität war besser, die einzelnen Blocks durch die Brandmauern besser voneinander getrennt, so daß das Feuer weniger leicht überspringen konnte. Größten Wert wurde auf die Dachkonstruktionen gelegt, da die Bomben zunächst die Dachstühle in Brand setzen sollten. Die Baufirmen stellten sicher, daß das verwendete Holz in der Alterung und in der Dichte dem deutschen entsprach. Dachbalken wurden sogar aus Murmansk importiert. Allerdings wandten die Brandexperten ein, Dugways Klima sei viel zu trocken für eine Simulation. Deshalb mußten GIs die Häuser immer wieder unter Wasser setzen, um den Hamburger Nieselregen nachzuahmen. Der Bau der ganzen (streng geheimen) Anlage nahm nur 44 Tage in Anspruch. Strafgefangene des Gefängnisses
Sugar House
in der Nähe halfen. Die Häuser im
German Village
wurden mit deutschen Textilien – Bettdecken, Vorhängen – und schweren, klobigen Möbeln eingerichtet, wie sie Mendelsohn in keinem seiner Häuser geduldet hätte. Aber nur an „typischen Einrichtungen“, wie sie die hinzugezogenen Filmausstatter beisteuerten, konnte das Brandverhalten im Detail studiert werden. Zwischen Mai und September 1943 flog die
US Air Force
mindestens drei große Angriffe auf das
German Village
und studierte die Folgen.
Diese stufenförmige Ablaufgeschwindigkeit von Biographien, ihr Ordnungsgefüge, ihre Strukturiertheit – Claire und Richard stellten sie sich vor, empfanden sie, aber es gab kein Halten, keinen Zweifel am Bekenntniswert des Biographischen, den puren Daten und Fakten. Anonymisierung, Geheimhaltung war das eine, Vergessen und Verdrängen und das Umwidmen der Motive war das andere, das eine Biographie ausmachte. Hatten sie selbst eine Biographie? Oder war schon das Wort in Zweifel zu ziehen? Hinter die Stirnen und hinter die Motive blickte niemand, die Geschichte, auch die der Personen, schwieg.
1947 nahm Mendelsohn einen Lehrauftrag an der Universität von Berkeley an, lehrte die Studenten seine kühnen Bauauffassungen. In der Folge baute er in den USA vorwiegend Synagogen. Solche, die man nicht nur am Sabbat besuchen konnte und sollte, sondern solche, die Gemeindezentren wurden mit den verschiedensten sozialen Einrichtungen,
Campussynagogen
wurde ein gängiger Begriff. Synagogen als Schiffsmetaphern, Archen für die Gläubigen, expressionistische Gebärden in Stahlbeton, kühne Schwünge in der Funktionalität. Viele geplante Großprojekte Mendelsohns kamen trotzdem nicht zustande. Nicht einmal ein Denkmal für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in New York mit hochaufgerichteten Gesetzestafeln am Riverside Drive wurde gebaut, obwohl es bewilligt worden war und die Regierung Jugoslawiens den Granit dazu spenden wollte. (Vielleicht darum nicht?) Es kam auch deshalb nicht zustande, nicht weil ein anderer Architekt ihm den Auftrag wegschnappte, sondern weil niemand ein solches prominentes Monument des Gedenkens wirklich wollte. (Später vielleicht einmal.) Es schien, daß Mendelsohn, je länger er von dem liberalen, assimilierten Judentum Berlins entfernt leben mußte, immer jüdischer geworden war, während Kornitzer sein Judentum verlor, es war eine lose Hülle, in der er steckte; schon der Zwischenraum schmerzte. Oder ergab sich aus den Aufträgen eine gewisse Ideologisierung des Bauens? Würdeformen? Sinnstiftungen? Es mußte Mendelsohn enttäuschen, daß er, ein Kraftprotz unter den Architekten, große Pläne in Amerika nicht verwirklichen konnte. Und so, das mußte man sich als ein Verehrer und eine Verehrerin des großen Architekten in einer kleinen deutschen, baulich vermasselten Großstadt zusammenreimen, wird seine Bilanz am Lebensende nicht ganz glücklich gewesen sein. Und das war verständlich. Und wie würde die eigene sein?
Dann fanden sie die Todesnachricht, Mendelsohn war am 15. September 1953 an einem Krebsleiden in San Francisco gestorben, seine Asche war zerstreut worden, mehr lasen sie nicht, aber es beschäftigte sie. Sie stellten ihn sich jung vor, dynamisch, berlinerisch, aber nun war er gerade einmal 66 Jahre alt geworden, und sie wußten nicht, wie er von da, wo sie sich ihn vorstellen konnten, nach dort in dieses vorgerückte Lebensalter gekommen war. Ob er noch weiße Anzüge in Kalifornien getragen hatte?, fragte sich Claire insgeheim. Oder nur noch weiße Anzüge? Aber sie konnte sich weder Kalifornien vorstellen noch Kuba, weder ihren Mann auf einer mit
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