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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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Palmen gesäumten Straße, Schatten suchend, noch den verehrten Mendelsohn im trockenen Klima am Pazifik, sie konnte sich ihr eigenes junges Leben in Berlin kaum mehr vorstellen, seine Dynamik, die Freude, den grenzenlosen, nun schon kalifornisch weit wirkenden Wilmersdorfer, Halenseer Optimismus, von dem nichts übriggeblieben war. Als wäre es immer Sommer auf den Tennisplätzen hinter dem Haus gewesen, als wären sie täglich im Wannsee-Schwimmbad gewesen.
    Sie gingen spazieren auf der Gemarkung Großer Sand und immer noch vorwiegend am Rheinufer, die Schiffe kamen von links, rheinabwärts, und von rechts rheinaufwärts, ein großes Wassertheater mit Auftritten und Abtritten nach Norden, nach Süden, Schiffe tuckerten, schnitten mit ihrem Kiel durch die Wellen. Das Gleichmaß tat gut, wie eine Mäßigung der überschäumenden Empfindungen. Dort am Rheinufer wurde noch nicht gebaut, das Schloß war noch ein Behelf, die Landesregierung notdürftig im Flügel des Schlosses an der Diether-von-Isenburg-Straße untergebracht, für die Ministerien wurde gebaut, und im Vorläufigen war auch ein Versprechen, wenn man es hören, erahnen wollte.
    Richard und Claire waren allem Neuen aufgeschlossen, der Wiederaufbau!, der Stolz der Städte!, sie erwarteten etwas Neues. Aber alles war so bretzelig, so unmutig, kleinteilig, ins Ungefähre gesetzt, als könnte man morgen wieder alles abreißen, was in den Sand gesetzt war, als wären die alten Ziegel, die verwendet worden waren zum Wiederaufbau, doch allzu brüchig. Ja, manchmal dachten sie, man baut hier, als ob bald wieder eine Zerstörung stattfinden könnte, der kalte Krieg und seine punktuelle Erhitzung, der mögliche Atomkrieg, man müßte sich in einen Iglu flüchten, einen Bau, von einer abhebbaren Moosschicht verdeckt, wünschenswert wäre es, den Bau nie wieder zu verlassen, einen Ort jenseits der Verfolgung, jenseits der Belagerung, fern von Nagern und Neidern. Dunkelheit, Moder, Tapetengeknister. Wohnen war eine innere Schanzarbeit gegen schmerzhafte Empfindungen: Und dann wäre es kein so großer Verlust, wenn die flüchtig wiederhergerichteten Gebäude erschüttert wären, man baute wieder auf.
    Und dann fanden sie sich selbst nach solchen Spaziergängen und Überlegungen auch ungerecht und hochmütig. Was wußten sie, wie man Berlin wieder aufbaute? Ob man die Stadt überhaupt wieder in den Griff bekam oder man sie als eine Budenstadt beließ, einstöckig, kriecherisch bucklig, ameisenhaft unter der Obhut der Alliierten? Das änderte nichts daran, nichts überzeugte sie wirklich. Himmler hatte großsprecherisch 1943 vor deutschen Bürgermeistern gesagt, die Bombenangriffe hätten auch
ihr Gutes
, aus ihnen ergäben sich auch
Vorteile für ein nationalsozialistisches Stadtoberhaupt
. Die Städte und Gemeinden könnten danach
ohne die Bausünden des 19. und 20. Jahrhunderts, wo regellos und ohne Sinn liberalistisch gebaut wurde
, im Sinne echter NS-Architektur neu errichtet werden und die Oberbürgermeister
ihren Namen in die Geschichte ihrer Stadt einmalig einschreiben
. Dazu war es nicht gekommen, und die nachfolgenden Oberbürgermeister, zuerst von den Alliierten eingesetzt, verwalteten den Mangel, sie hatten keine Vorstellung von einer zukünftigen Architektur, die Geschichte war ein Krater.
    Und die Kornitzers waren von sich selbst und ihren Meinungen auch nicht überzeugt. Wir wursteln uns durch, dachte Kornitzer dann und schob den Gedanken rasch wieder beiseite, denn er taugte zu keiner weiteren Überlegung, nur zur skizzenhaften Beschreibung eines Zustandes. (Manchmal dachte Kornitzer an Breslau, an die schönen Maße der Stadt, an ihr langsames Gewachsensein, erinnerte sich sehnsüchtig, aber das hatte keine Auswirkung auf sein Befinden in Mainz, der Vorkriegszustand der Stadt war gar nicht mehr zu erahnen. Eigentlich hätte ihn das traurig machen müssen, aber er war auf vielfältige andere Weise traurig und auch sehr beschäftigt. Es war, als zöge diese Alltagstristesse nur wie ein grauer Schleier an seinen Augenwinkeln vorbei, während er sich auf Wesentlicheres zu konzentrieren suchte. Und Claire hatte nie eine mittelalterliche Stadt gekannt, sie war Berlinerin mit Haut und Haaren (Leib & Seele?) und nicht an Nischen, Winkeln, Gewölben, Gassen und Madonnen-Erkern interessiert.
    Was sie nicht wußten, war, daß die französische Besatzungsmacht schon 1947 eine Architektengruppe um Marcel Lods beauftragt hatte, einen Gesamtplan für den Wiederaufbau von

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